Nach den Sommerferien steht den niedersächsischen Schulleitern eine besondere Prüfung bevor. Zum ersten Mal werden nicht ihre Schüler sondern ihre Schulen benotet, denn Niedersachsen führt jetzt nach niederländischem Vorbild die externe Schulinspektion ein. Jede der 3.200 öffentlichen Schulen im Land soll von zwei Inspektoren anhand eines standardisierten Fragenkatalogs auf ihre Stärken und Schwächen hin überprüft werden. Für Kultusminister Bernd Busemann ist das ein wichtiger Baustein seiner Schulreform. Die flächendeckende und systematische Bestandsaufnahme soll den Schulen zeigen, wo sie stehen und ihnen Kriterien liefern, um aus eigener Kraft die Qualität ihrer Schule zu verbessern. Alle vier Jahre wird eine weitere Inspektionen erfolgen, um die Schulqualität dauerhaft zu kontrollieren und landesweite Qualitätsstandards zu garantieren. "Wir brauchen eine Kultur der Leistungsüberprüfungen", heißt Busemanns Botschaft nach dem PISA-Schock. Gleichzeitig verspricht er den Schulen mehr Freiraum, mehr staatliche Beratung sowie eine Reform der Schulaufsicht.
In der Idylle des eigens dafür umgebauten Barock-schlosses von Bad Iburg werden seit April die ersten 30 der insgesamt 67 Schulinspektoren ausgebildet. Die meisten kommen selbst aus dem Schuldienst. "Sie müssen neben dem Fachlichen vor allem lernen, ihre Rolle als Prüfer anzunehmen, zu leben und sensibel mit den Schulen umzugehen", erklärt Projektleiter Peter Uhlig. Am Ende müssen die professionellen Schulprüfer in der Lage sein, sich in nur zwei Tagen ein Bild von einer Schule zu machen.
Kern jeder Schulvisitation ist die Beobachtung des Unterrichts. Im 20-Minuten-Takt wechseln die Prüfer die Klassen, um sich einen Überblick über Lerninhalte und -ziele, Lernmittel und Methoden, das Klassenklima oder den persönlichen Umgang zu verschaffen. Daneben müssen sie auch das Lernumfeld und die Schulorganisation beurteilen. Sie fragen nach der personellen Ausstattung, nach Förderpogrammen, Kollegialität, Lernkultur oder sozialer Integration. Sie begutachten Pausenhöfe, Klassenzimmer und die Anbindung der Schule in örtliche Strukturen. Insgesamt prüfen sie 16 Qualitätskriterien. Drei Monate später erhält die Schule ihr individuelles Qualitätszeugnis, das Lehrern, Schülern und Eltern zur Verfügung gestellt wird.
Schwache Schulen oder Schulen in Problemregionen befürchten, dass sich die Ergebnisse herumsprechen und ein Schulranking entsteht. Ihnen würden dann Schüler und gute Lehrer davonlaufen, heißt es. "Ein solches Ranking ist nicht gewollt", erklärt Busemann, "aber es lässt sich kaum verhindern". Er nimmt diesen Preis für die allgemeine Anhebung der Schulqualität in Kauf. "Man muss den Schulen klar sagen, dass sie sich dem Wettbewerb stellen und an sich arbeiten müssen", sagt er.
Wieviel Mehrarbeit eine einzige Schulinspektion bedeutet, konnte die Halepaghenschule in Buxtehude schon spüren. Das Gymnasium gehört zu den 30 Schulen, die freiwillig an einer Probeinspektion teilgenommen haben. Wochenlang haben Ulrich Amthor und seine Kollegen in ihrer Freizeit Daten und Fakten zusammengetragen, ihr pädagogisches Selbstverständnis diskutiert und ein Schulprogramm erarbeitet, um den Inspektoren Rede und Antwort stehen zu können. Amthor leitet an der Schule die Steuergruppe Qualitätsentwicklung und findet, dass sich der Aufwand der Inspektion lohnt: ",In manchen Fragen ist man eben doch betriebsblind oder auf Beratung angewiesen." So musste sich die Schule von Unternehmensberater Klaus Dyrda, der das Projekt begleitet hat, Defizite in der internen Kommunikation vorhalten lassen. Für Dyrda ist das ein typisches Phänomen: "Lehrer sind Einzelgänger und wissen selten, wie man Teams oder Projekte entwickelt und führt. Sie müssen hier ihre Professionalität erhöhen, wenn sie Schulentwicklung betreiben und innovativ sein wollen." Die Schulleiter stünden solchen Themen zunehmend aufgeschlossen gegenüber, erklärt die Vorsitzende des Schulleiterverbandes in Niedersachsens, Helga Akkermann. " Wir wissen, dass wir künftig mehr Managementaufgaben übernehmen müssen." Das erklärte Ziel der Landesregierung ist die "Eigenverantwortliche Schule", in der die Schulleitung bald schon weitgehende Personal- und Budgethoheit bekommen soll. Das stärkt die Rolle der Schulleiter, verändert aber auch ihre Aufgaben.
Allen voran die Gewerkschaften kritisieren, dass bei derlei Formen modernen Schulmanagaments die Bildungsinhalte und der Bildungsauftrag auf der Strecke bleiben. Die GEW warnt schon vor einer Privatisierung des Bildungswesens und im Philologenverband heißt es: "Man soll sich auf den Unterricht konzentrieren, statt über die Toiletten und die Anzahl der Computer zu diskutieren", so der bildungspolitische Sprecher Wolfgang Steinbrecht. Er hält die Inspektionen für oberflächlich und untauglich, und rät, den Schulen mehr zuzutrauen: "Sie haben alle Instrumente, um sich selber weiterzuentwickeln."
In den inspizierten Schulen sieht man das offenbar anders. Nach anfänglichen Ängsten vor den Unterrichtskontrollen, so die Auskunft aller Schulen, seien die Lehrer geradezu erleichtert, dass Probleme endlich auf den Tisch kommen und ein neuer Dialog in Gang gesetzt wird. Insgesamt beobachtet Helga Akkermann eine Aufbruchstimmung an Niedersachsens Schulen: "Die Schulinspektion ist ein sehr guter Spiegel, der uns vorgehalten wird, um uns unsere wahren Leistungen aufzuzeigen. Und sie ist Rückenwind für alle, die sich für eine gute Schule engagieren."
Sie fordert jedoch von der Politik, die Schulen mit den Ergebnissen der Inspektion nicht alleine zu lassen. Sie könnten sich dauerhaft nur verbessern, wenn die Regierung Wort halte und tatsächlich das staatliche Angebot an Fortbildung, Personal, Finanzen ausbaue und die Lehrerausbildung optimiere. Angesichts der wachsenden Belastungen für die Schulleiter dürften dann aber auch Leitungszeiten und Vergütungen kein Tabuthema mehr sein. Die Schulen müssten ohnehin schon viele Zusatzaufgaben in den Bereichen Erziehung oder Gesundheit verkraften. Im Ministerium hofft man angesichts knapper Kassen, dass die Schulen ihre Qualitätsverbesserungen durch Um- und Neuorganisation weitgehend aus dem Bestand leisten können. Das hält Ackermann für unmöglich. "Dann wird die Schulinspektion auf dem Rücken der Schulleiter und Lehrer ausgetragen, die eines Tages unter der Last eines modernen Schulmanagements zusammenbrechen."