Wenn die deutschen Schüler im internationalen Vergleich so schlecht abschneiden, heißt das nicht, dass vor allem auch die Lehrer umlernen müssen? Die OECD-Studie über "Anwerbung, berufliche Entwicklung und Verbleib von qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern" beantwortet diese Frage eindeutig mit Ja. Was getan werden muss, das versuchten fünf OECD-Experten aufzuzeigen, nachdem sie im September 2004 die Situation der Lehrer in Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg unter die Lupe genommen hatten. Ihr Deutschlandbericht gehörte zu einer wenige Monate später vorgestellten Vergleichsstudie, an der sich 25 Staaten beteiligten.
Der Tenor der Analyse fällt nicht sehr positiv aus. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass qualifiziertes Personal in fast allen Ländern zur Mangelware zu werden droht. Die deutsche Lehrerschaft ist dabei eine der ältesten aller OECD-Länder. Doch nicht nur die bevorstehende Pensionierungswelle, sondern auch die mangelnde Attraktivität des Lehrerberufes gibt Anlass zur Sorge. Vor allem aber bedarf es nach Ansicht der Experten einiger Reformen bei der Aus- und Fortbildung. Nirgendwo sonst in Europa dauert die Erstausbildung so lange wie in Deutschland. Mit dem erfolgreichen Abschluss des Ersten und Zweiten Staatsexamens und der anschließenden Probe- und Bewährungszeit ist es mit den Leistungskontrollen dann aber weitgehend vorbei. "Der nachfolgende Ausbau der Fertigkeiten und Techniken bleibt dem einzelnen Lehrer überlassen und hängt von seinem Interesse und Enthusiasmus ab", schreiben die OECD-Experten, die zugleich erste Reformschritte in diesem Bereich ausmachen.
Zwar wird die zweite Ausbildungsphase des "Lernens im Beruf" grundsätzlich positiv bewertet, doch sei sie von der universitären ersten Phase zu sehr abgekoppelt. Und: Die Lehrerbildung sei sehr stark fachwissenschaftlich orientiert, aber es fehle die "Verbindung zum didaktischen Repertoire eines Lehrers". Die Lernkompetenzen der Schüler zu entwickeln, den Unterricht auf individuelle Bedürfnisse abzustimmen oder kooperatives Lernen in Gruppen zu organisieren, das bekommen deutsche Lehrkräfte nicht mit auf den Weg, stellen die Macher der Studie fest. Sie sprechen sich für kürzere Ausbildungszeiten bei gleichzeitig größerem Praxisbezug aus.
An erster Stelle ihrer bildungspolitischen Forderungen steht aber die Schaffung eines neuen Lehrerleitbildes. Es werde immer öfter vorkommen, dass Lehrer in der Praxis auf Lernschwierigkeiten, besondere Fähigkeiten oder soziale Unterschiede der Schüler eingehen müssten. Hinzu komme der wachsende Bedarf an individueller Unterstützung und Förderung mit neuen, kreativen Methoden. Wichtige Hilfestellungen für die Lehrer muss nach Ansicht der OECD-Experten dabei die Schule als Organisation leisten, etwa durch intensive Kommunikation, Strategiepläne, Qualitätsmanagement und Selbstevaluation. Mehr Eigenverantwortung ist der Schlüsselbegriff. Quasi als logische Konsequenz aus dem neuen Leitbild sehen die Experten auch die Definition der Ziele der Erstausbildung sowie der Fort- und Weiterbildung. Die damit angesprochene Einführung von Standards bei der Lehrerbildung wurde inzwischen von der Kultusministerkonferenz auf den Weg gebracht.
Schluss gemacht werden muss nach Einschätzung der Autoren mit einem der Hauptschwachpunkte, der fächer- und schulartenbezogenen Fragmentierung des Systems, das mehr als 40 Lehramtstypen kennt und letztlich einen Hemmschuh für die Flexibilität darstellt. Die eingesparten Ressourcen sollten besser in die Fortbildung gesteckt werden, meinen die Experten. Sie sprechen auch ein Thema an, an das sich in Deutschland niemand recht heranwagt: Die heilige Kuh des Lehrer-Beamtentums würden sie am liebsten schlachten. "Für das Prüfungsteam ist nicht ersichtlich, dass ein Beamtenstatus, der sich durch umfassende Arbeitsplatzsicherheit und begrenzte Mechanismen für die Lehrkräfteevaluation und Feedback auszeichnet, der zur Erreichung dieses Ziels am besten geeignete Beschäftigungstyp ist", heißt es trocken. Statt dessen schwebt den Experten ein regelmäßig alle fünf bis sieben Jahre zu wiederholender Eignungstest vor, der im Notfall auch den Rausschmiss nach sich ziehen könnte. In ihrem Gegenentwurf dringen sie zugleich auf eine Verbesserung der Laufbahnstruktur und mehr Anreize für Lehrkräfte, die sich von solchen Änderungen wohl auch einen Imagegewinn erwarten dürften.
Obwohl die Empfehlungen des OECD-Teams sehr konkret seien, seien die im Bericht enthaltenen Ansätze in Sachen Lehrerbildung doch nur ein "ganz, ganz kleines Stück von Vorarbeit" auf dem Weg zu einem Gesamtbild. Das meint jedenfalls Professorin Sigrid Blömeke von der Berliner Humboldt-Universität. Sie ist Leiterin der deutschen Projektgruppe für die geplante "Teacher Education and Developement Study (TEDS)", die von der internationalen Forschungsorganisation IEA vorbereitet wird und in rund 30 Staaten durchgeführt werden soll. Ziel ist es, "die Studierenden auf ihre professionelle Kompetenz hin zu testen". Denn dazu gebe es bislang eigentlich nur Vermutungen, aber "keine empirischen Belege". Ab 2006 sollen zunächst Strukturinformationen zusammengetragen werden, etwa zu Lehrergehältern und Arbeitsbedingungen. Ein Jahr später wollen sich die Wissenschaftler dann die Universitäten und die Lehramtskandidaten vor allem für Mathematik und Naturwissenschaften vornehmen. Vor 2008 sei kaum mit Ergebnissen zu rechnen, sagt Blömeke. Sie hat übrigens in sehr vielen Ländern ein Unbehagen gegenüber der eigenen Lehrerbildung festgestellt: "Alle denken, die Wiese auf der anderen Seite des Zauns ist grüner."