In der laufenden Welthandelsrunde sollen für alle Bereiche des Handels, also Agrargüter, Industriewaren, Dienstleistungen und geistiges Eigentum, die Zölle neu festgelegt werden. Die EU hat angeboten, die eigene Landwirtschaft künftig weniger zu schützen und die Einfuhrzölle um bis zu 60 Prozent zu senken. Ferner sollen die Agrarsubventionen, die auf dem Weltmarkt zu unfairen Startbedingungen führen, weiter gekürzt werden. Als Gegenleistung wollen die Europäer erreichen, dass die Schwellen- und Entwi- cklungsländer ihre Märkte für europäische Industriegüter und Dienstleistungen öffnen. Bislang schützen diese Länder ihre heimische Produktion durch hohe Einfuhrzölle, weil sie fürchten müssen, sonst von der Konkurrenz überrollt zu werden. Würde zum Beispiel Brasilien seine Zölle auf PKW senken, würden die Brasilianer keine teuren Autos aus eigener Produktion mehr kaufen, sondern billige Importe.
Ende 2006 laufen die derzeit geltenden, in Doha beschlossenen Vereinbarungen aus. Die Entwicklungsländer könnten das eigentlich gelassen sehen. Ganz ohne Zollverpflichtungen sind sie besser dran als mit Abkommen, die ihren Interessen nicht nützen. Doch die Finanzinstitute machen Druck. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist überzeugt, dass freie Märkte für alle Beteiligten die größten Entwicklungschancen bieten. Betreiben Länder eine protektionistische Han-delspolitik, dreht der IWF den Kredithahn zu. Außerdem geraten ärmere Länder dann dadurch in die Zwickmühle, dass ihnen mächtige Handelspartner bilaterale Abkommen aufzwingen, deren Bedingungen oft noch ungünstiger sind.
Doch die Länder des Südens lernen allmählich, ihre Interessen auf der Weltbühne besser zu verteidigen. Mangelnde Erfahrung und unzulängliche Beraterstäbe machen sie dadurch wett, dass ein Nomadenstamm von Hilfsorganisationen wie Oxfam, Greenpeace oder WWF von Konferenz zu Konferenz zieht und lautstark und bunt für die Rechte der Ärmsten demonstriert. Auch in Hongkong haben diese Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) ihre Zelte aufgebaut und machen mit Demonstrationen und oftmals spektakuläre Aktionen auf ihren Standpunkt aufmerksam.
Die Welthandelsorganisation ist eine ziemlich junge Organisation. Erst 1995 wurde sie gegründet, um das Welthandelsabkommen GATT auf andere Wirtschaftsbereiche auszudehnen, da das GATT nur den Warenverkehr regelte. 149 Staaten sind bereits Mitglied in der WTO, gerade kam Saudi-Arabien als jüngstes Mitglied hinzu. China trat kürzlich bei, und Russland möchte gern Mitglied werden. Von außen gesehen ist die WTO also attraktiv. Doch wer dazu gehört, spart nicht mit Kritik. Die mächtigen Industrieländer wünschen sich, dass die Zollschranken noch konsequenter abgebaut werden. Gerade die armen Entwicklungsländer fürchten, dass ihre Wirtschaft den rauhen Regeln des Freihandels nicht gewachsen ist.
Alle zwei Jahre treffen sich die Handelsminister der WTO-Staaten. Während bei den Vorgesprächen in Genf EU-Kommissar Peter Mandelson für die gesamte EU sprach und sein Mandat auch für die Verhandlungen in Hongkong galt, hat am Ende jedes Mitgliedsland eine Stimme. Beschlüsse werden einstimmig gefasst. Demokratischer geht es nicht, sagen die einen. Den armen Ländern werde mit Zuckerbrot und Peitsche, mit Entwicklungshilfe und der Drohung, Kredite zu kürzen, die Zustimmung abgepresst, sagen dagegen die Kritiker der WTO.
Wer verstehen möchte, worum es in den WTO-Verhandlungen geht, wird sich wahrscheinlich von den kryptischen Abkürzungen abschrecken lassen. WTO zum Beispiel steht für World Trade Organisation. Auch in der deutschen Übersetzung bleibt es bei diesem Akronym, denn die Buchstaben WHO sind bereits vergeben an die Word Health Organisation, die Weltgesundheitsorganisation.
Das GATT ist der Vorläufer der WTO, inzwischen aber auch eins ihrer Abkommen, das den Warenhandel regelt. Dagegen geht es beim GATS, das 1995 mit Gründung der WTO verabschiedet wurde, um den freien Dienstleistungsmarkt. Dieses Thema beschäftigt nicht nur die EU-Staaten in Form der Dienstleistungsrichtlinie, sondern spielt auch auf dem Weltmarkt eine große Rolle. NAMA schließlich umfasst den Handel mit allen Gütern, die nicht zur Landwirtschaft gehören. Paradoxerweise werden auch Holzwirtschaft, Fischerei und Bodenschätze in diesem Rahmen geregelt. Hier sind die reichen Länder besonders an einer Marktöffnung interessiert. Wie zersplittert die Interessen innerhalb der WTO sind, zeigt die Grüppchen-Bildung. Es gibt mehr als ein Dutzend informelle Kreise, die ihre Verhandlungspositionen abstimmen.
Die großen Ministertreffen der WTO sind in den Augen der Globalisierungskritiker zunehmen zum Symbol eines Freihandels geworden, von dem nur die Reichsten profitieren. Nach gewaltigen Protesten der beim Gipfel 1999 in Seattle (USA) wurde zwei Jahre später in Doha beschlossen, in der kommenden Verhandlungsrunde die Interessen der armen Länder stärker zu berücksichtigen. 2003 in Cancún (Mexiko) schlossen sich diese Länder erstmals zu Verhandlungsgruppen zusammen. Inzwischen zeichnet sich ab, dass es auch in Hongkong keine Einigung geben könnte, die Zugeständnisse der Industrieländer an die armen Staatenweiterhin zu gering ausfallen.