Die Kontroverse über den Wechsel des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) an die Spitze des Aufsichtsrates des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline (NEGP), das zu 51 Prozent dem russischen Staatskonzern Gasprom gehört, erreichte am 15. Dezember den Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Mit Ausnahme der SPD übten Vertreter aller Fraktionen teilweise scharfe Kritik an der Entscheidung Schröders.
Die Große Koalition erlebte in der von der FDP-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde zur Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage zudem eine überraschende Abstimmungsniederlage. Ein Geschäftsordnungsantrag der Liberalen auf Herbeizitierung von Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), weil kein Vertreter der Bundesregierung anwesend war, erreichte mit den Stimmen der Grünen und der Linken die erforderliche Mehrheit, da zahlreiche Abgeordnete der Union und der SPD der Debatte ferngeblieben waren.
Müntefering entschuldigte sich ausdrücklich bei den Abgeordneten, dass kein Minister zu Beginn der Aktuellen Stunde anwesend war: "Das ist dem Parlament nicht angemessen und ich bedaure das." Doch dann ging der Vizekanzler direkt zum verbalen Gegenangriff auf die Kritiker Schröders über. Müntefering stellte klar, dass die Bundesregierung dem Projekt der Ostseepipeline "rundum positiv" gegenüber stehe. Die Frage der FDP jedoch, wie die Bundesregierung zum Engagement Schröders stehe, könne er gar nicht beantworten, denn sie habe sich "dazu keine Meinung gebildet". Und weiter: "Aber stellen Sie sich vor, ich würde Ihnen heute hier erzählen, wir hätten im Kabinett darüber gesprochen, ob man so etwas darf oder nicht. Dann müsste diese große FDP ja wohl aufspringen und sich empören, was die Regierung der Bundesrepublik Deutschland sich anmaßte, sich einzumischen, wer bei den internationalen Unternehmen wie dem dort entstehenden an der Spitze stehen soll!" Die Frage der Liberalen sei schon im Ansatz "kleinkarriert". Persönlich aber, so betonte Müntefering, sei er froh, dass Schröder das Angebot angenommen habe, "weil er an dieser Stelle für unser Land und für Europa auch in Zukunft gute strategische Arbeit leisten kann".
FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt hatte zum Auftakt der Debatte harsche Kritik an Schröder geübt. Der Altkanzler pfeife auf die Prinzipien, die er selbst früher aufgestellt habe. Das Betreiberkonsortium habe seinen Sitz im schweizerischen Kanton Zug, das als Steuerparadies gelte. "Was haben Sie früher über Unternehmen gesagt, die Standortentscheidungen dieser Art getroffen haben. Da versagt die deutsche Sprache, trotz ihrer durchaus kraftvollen Möglichkeiten."
Für die Linksfraktion forderte Bodo Ramelow Schröder auf, seine Ambitionen fallen zu lassen: "Es muss deutlich gemacht werden, dass diejenigen, die zehn Tage vor der Wahl einen Vertrag unterschreiben, nicht einen Monat nach der Wahl für das gleiche Unternehmen - zudem ,outgesourct' in einem Steuersparland - die Position des Aufsichtsratvorsitzenden übernehmen können."
"Schröder hat leichtfertig seinen Ruf geopfert", kritisierte Matthias Berninger von den Grünen. "Es ist unanständig, ein solches Unternehmen mit seinem guten Namen zu schmücken", kritisierte er. Der russische Staatskonzern Gasprom stehe nicht für die Unterstützung der bürgerlichen Freiheiten in Russland.
Unverständnis über die Entscheidung Schröders wurde auch in den Reihen der Unionsfraktion geäußert. Der Abgeordnete Hermann Gröhe pflichtete ausdrücklich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bei, der dies zur Empörung der SPD als "instinktlos" bezeichnet hatte.
Klaus-Uwe Benneter (SPD) hingegen stellte sich im Namen seiner Fraktion schützend vor Schröder. Dieser habe die Oberaufsicht über das Pipeline-Projekt übernommen, das im "energiewirtschaftlichen Interesse Deutschlands liegt". Dies müsse, so sagte Benneter mit Blick auf die FDP, auch "die Partei der Aufsichtsräte" wissen.