ZWANGSEHE
Die Koalition setzt auf den Nachweis von Deutschkenntnissen, um Zwangsheiraten zu verhindern. Sowohl für die Opposition als auch für Terre des Femmes ist dies jedoch der falsche Weg
Ein denkbares Zwangsehe-Szenario sieht laut Aussage der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes in etwa so aus: ein türkischstämmiges in Deutschland aufgewachsenes Mädchen soll mit einem von der Familie ausgesuchten, in der Türkei lebenden Mann verheiratet werden. Unter falschen Versprechungen wird das Mädchen dann zur Reise ins Land des eventuellen Bräutigams überredet. Eine der Zusagen, so Sibylle Schreiber von Terre des Femmes im Gespräch mit dieser Zeitung, sei oftmals: "Du sollst ihn ja nur mal kennen lernen, vielleicht gefällt er dir ja - wenn nicht, musst du ihn ja nicht heiraten." Doch genau dies passiert dann in vielen Fällen. Die Mädchen, so Schreiber, stolpern in eine geplante Hochzeitszeremonie hinein. Pass und Handy werden ihnen abgenommen - die Hochzeit findet gegen ihren Willen statt. Der zukünftige Lebensmittelpunkt ist nun die Türkei.
Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen fordert Terre des Femmes schon lange die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes Zwangsheirat. Denn vielfach, so Sibylle Schreiber, fehle es ganz einfach am Unrechtsbewusstsein der Eltern. "Die Mädchen müssten ihren Eltern schwarz auf weiß zeigen können: Das ist eine Straftat", sagt Schreiber. Im Bundesrat ist eine derartige Initiative schon verabschiedet worden, die jedoch noch immer nicht in den Bundestag eingebracht wurde. Ebenfalls ungeklärt und für die Betroffenen aus Sicht von Schreiber unzureichend geregelt sind die im Asylrecht enthaltenen Rückkehrregelungen. "Es gibt keine Sonderregelung für Opfer von Zwangsheirat", kritisiert sie. Wer also innerhalb von sechs Monate nach seiner "Heiratsverschleppung" nicht wieder nach Deutschland zurückkehrt, verliert sein Aufenthaltsrecht - eine unhaltbare Situation, so Schreiber. Das sieht auch Angelika Graf, stellvertretende familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, so. Eine junge Frau könne sich nicht in sechs Monaten aus derartigen Zwangslagen befreien. Da seien Änderungen nötig. "Ich plädiere für eine Anhebung der Rückkehrfrist auf zwei Jahre", sagte sie dieser Zeitung.
Doch damit stößt sie derzeit beim Koalitionspartner CDU/CSU auf taube Ohren. "Ja es gibt einen Dissens in der Koalition", räumt sie ein. Der erstrecke sich auch auf die Frage des Nachweises von Deutschkenntnissen beim Nachzug von Ehepartnern, beispielsweise aus der Türkei. So sehen es die Neuregelungen im Asyl- und Ausländerrecht vor, denen auch die SPD zugestimmt hat. Dennoch ist sich Graf sicher: "Der Spracherwerb verhindert keine einzige Zwangsheirat."
Auch aus Sicht der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, ist der Sprachtest kein Beitrag gegen Zwangsverheiratungen. Auch wenn dies die Union immer wieder behaupte, handle es sich doch eher um ein Instrument gegen Zuwanderung, sagte Schewe-Gerigk während der Debatte des Bundestages am 15. Februar, bei der Anträge der Grünen ( 16/61), der FDP ( 16/1156) und der Linksfraktion ( 16/1564) zum Thema Zwangsheirat abgelehnt wurden, während ein weiterer Antrag der Grünen ( 16/7680) in die Ausschüsse überwiesen wurde. Statt zu fordern, Deutschkenntnisse im Herkunftsland zu erlangen, was dort vielfach gar nicht möglich sei, müssten Integrations- und Sprachkurse in ausreichender Zahl gleich nach der Ankunft in Deutschland angeboten werden, forderte Schewe-Gerigk. Als eine vehemente Verteidigerin der Forderung nach Deutschkenntnissen vor der Einreise nach Deutschland präsentierte sich die Unionsabgeordnete Michaela Noll. "Nur über die Sprache ist Integration möglich", sagte Noll und verwies auf die vielen durch das Goethe-Institut im letzten Jahr auf den Weg gebrachten Sprachkurse. Diese könnten die Nachfrage durchaus befriedigen, so Noll. Den so genannten Importbräuten, also ausländischen Frauen, die nach Deutschland verheiratet werden, könne nur durch Deutschkenntnisse eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Deutschland ermöglicht werden.
Diesen Frauen könnte viel besser geholfen werden, so Sibylle Laurischk (FDP), wenn man ihnen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht einräumen würde, welches es ihnen ermögliche, sich ohne Angst vor Abschiebung von dem erzwungenen Ehepartner zu trennen. Die Union habe es jedoch stattdessen vorgezogen, dass Asylrecht zu verschärfen, so Laurischk. "Scheinheilig" nannte Sevim Da`?gdelen (Die Linke) die unter dem Deckmantel der Verhinderung von Zwangsehen verschärften Nachzugsregelungen. Damit würden die Notlagen von Frauen instrumentalisiert. Sie kritisierte auch das Verhalten der SPD. Erst stimmten die Sozialdemokraten der Verschärfung im Asylgesetz zu, um danach auf dem eigenen Parteitag aufenthaltsrechtliche Verbesserungen zu fordern. "Die Frauen brauchen Ermutigung", so Da`?gdelen, von der ersten Antragstellung 2005 bis ins Jahr 2008 sei jedoch "nichts geschehen".
Das Handeln der Opposition, so der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer, sei nicht darauf ausgerichtet, präventiv zu wirken. Das geschehe hingegen durch die Union, mit der Anhebung des Nachzugsalters und der Forderung nach Deutschkenntnissen. Laut Mayer gebe es "ausreichende Möglichkeiten" Sprachkenntnisse zu erlangen, auch in "Südostanatolien".