Hamburg
Die Christdemokraten liegen in Umfragen vorn. Doch die SPD holt auf
Noch vor einem halben Jahr schien das Wettrennen um die Macht in Hamburg bereits gelaufen. Die CDU lag in allen Umfragen so weit vorne, dass politische Beobachter spekulierten, den Christdemokraten könnte mit ihrem populären Spitzenmann, dem Ersten Bürgermeister Ole von Beust (52), das Kunststück gelingen, in der sozialdemokratisch geprägten Elbmetropole die absolute Mehrheit zu verteidigen. Der von internen Personalstreitigkeiten geschwächten SPD, die mit dem früheren Kulturstaatsminister und beurlaubten "Zeit"-Herausgeber Michael Naumann (66) einen Verlegenheitskandidaten als Gegner für Ole von Beust präsentierte, fehlte es an zündenden Themen. Naumann war in der Stadt zudem kaum bekannt. Die in Hamburg traditionell schwachbrüstigen Liberalen beschäftigten sich nur mit sich selbst. Und die Führung der Grün-Alternativen Liste (GAL) machte kein Geheimnis aus ihrer Bereitschaft, dem liberalen CDU-Mann Beust in einer ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene weiter zur Macht zu verhelfen, wenn es für Rot-Grün nicht reichen würde.
Eine Woche vor der Wahl aber ist in Hamburg gar nichts mehr klar. So ergab eine am 15. Februar veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungs- instituts Infratest dimap im Auftrag der ARD, dass die CDU bei der Sonntagsfrage im Vergleich zu Anfang Februar zwei Punkte verliert und auf 39 Prozent der Stimmen kommt. Die SPD bricht aus dem 30-Prozent-Ghetto aus, gewinnt zwei Punkte und kommt jetzt auf 35 Prozent. Die derzeit außerparlamentarische FDP, trotz aller Avancen in Richtung GAL heimlicher Traumpartner Beusts, liegt unverändert bei fünf Prozent und darf auf ihre Rückkehr in die Bürgerschaft hoffen, während die GAL bei zehn Prozent verharrt. Die Linke gewinnt einen Punkt und rangiert bei acht Prozent.
Für die CDU, die Ende Januar eine noch nie da gewesene Materialschlacht mit wöchentlich wechselnden Plakatmotiven des Bürgermeisters auf 800 Großflächen gestartet hat (Slogan: "In guten Händen"), ist die Umfrage ernüchternd. Mehr denn je scheinen die Zeichen in Richtung einer Großen Koalition zu deuten, da auch das Experiment Schwarz-Grün rechnerisch nur noch knapp möglich wäre. Zudem bevorzugen 40 Prozent der Hamburger die Große Koalition vor anderen Konstellationen.
Die erneute absolute Mehrheit der Sitze, offiziell immer noch Wahlziel der CDU, gilt parteiintern als illusorische Zielmarke. Die ungebrochene Beliebtheit des Bürgermeisters, der bei seinen Besuchen auf Wochenmärkten stets mit viel Sympathie empfangen wird, scheint sich nicht mehr unmittelbar in einer entsprechenden Zustimmung für seine Partei zu spiegeln. Dazu kommt, dass Naumann sich mit einer beispiellosen Aufholjagd in der Stadt Bekanntheit und Respekt verschafft hat. Seit einem halben Jahr ist er ohne Unterlass in Hamburg unterwegs. Er besuchte Jugendzentren und Pflegeheime, verbrachte gar Nächte auf Entbindungsstationen. Dazu kamen immer neue Termine mit sozialdemokratischer Parteiprominenz, allen voran mit Altkanzler Gerhard Schröder.
Diese Fleißleistung zahlte sich in einem von 30 auf 80 Prozent gestiegenen Bekanntheitsgrad aus. In der Direktwahlfrage liegt der Amtsinhaber mit 48 Prozent aber dennoch klar vor Naumann (35 Prozent). Die CDU gibt sich deshalb weiter demonstrativ optimistisch. Man verweist auf die fehlende Wechselstimmung in der Stadt, die Erfolge des Senats in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, einen sanierten Haushalt und die gesunkene Kriminalitätsrate. Aber die Unruhe an der Basis wächst, denn auch beim ersten öffentlichen Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten beim "Hamburger Abendblatt", das im Lokalfernsehen übertragen wurde, konnte Beust, der nach dem Vorbild von Niedersachsens Wahlsieger Christian Wulff (CDU) einen staatsmännisch-präsidialen Wahlkampf führt, nicht entscheidend gegen Naumann punkten, der in dramatischer Diktion eine wachsende soziale Spaltung in der Stadt anprangerte - sein Hauptthema.
Naumann sieht in Hamburg Suppenküchen zur Armenspeisung, die ihn an die Weimarer Republik erinnern. Er wirft dem Beust-Senat zudem vor, ein "stre-ckenweise verrücktes" Schulsystem erhalten zu wollen, in dem Kinder aus sozial schwächeren Haushalten deutlich schlechtere Chancen hätten, ihr Abitur zu machen. Die CDU antwortete darauf mit einer Kampagne zur "Rettung" der Hamburger Gymnasien. Nur die Union stehe für den Erhalt dieser Schulform, während Rot-Grün die Einheitsschule errichten wolle, lautet die Botschaft. Völlig abwegig ist das nicht. Die GAL-Spitzenkandidatin Christa Goetsch (55) streitet für die "Schule für alle", Kinder dürften nicht aussortiert werden. Naumann verspricht zwar, mit ihm werde es keine Abschaffung der Gymnasien geben - weiß aber, dass seine Partei ebenfalls mit einem Schulsystemwechsel sympathisiert. Gebracht hat der CDU die Kampagne mit Slogans wie "Wir lassen uns unser Gymnasium nicht weichspülen" indes noch wenig.
Beust warnte deshalb jüngst Eltern in einer Rede, sie sollten den festen Willen von SPD und GAL in dieser Frage nicht unterschätzen. Die CDU strebt nach der Wahl in Hamburg ein Zwei-Säulen-Modell aus Stadtteilschulen, die bis zum Abitur führen können, und Gymnasien bei Abschaffung aller Gesamtschulen an. Die Bildungspolitik gilt als einer der Knackpunkte, an denen das Modell Schwarz-Grün in Koalitionsverhandlungen trotz aller Sympathien unter den verantwortlichen Akteuren scheitern könnte.
Doch führende Grüne wollen von diesem Farbenspiel dieser Tage ohnehin offiziell nichts wissen. Die Parteioberen, die wieder an die Töpfe der Macht zurück wollen und in Hamburg durch frühere Ergebnisse von weit mehr als 15 Prozent verwöhnt sind, sehen in den öffentlichen Spekulationen über eine Heirat mit den Christdemokraten einen der Hauptgründe ihrer Umfragenflaute. Das grüne Publikum in der Hansestadt ist zwar inzwischen weit bürgerlicher als vor zwanzig Jahren, zieht mehrheitlich aber ein Bündnis mit der SPD vor. Dazu kommt die ganz neu auf der Bildfläche erschienene Linkspartei, die vor der Fusion mit der WASG in Hamburg nur ein Grüppchen kommunistischer Sektierer versammelte, sich inzwischen aber - nicht zuletzt aufgrund zahlreicher neuer Mitstreiter - zu einer funktionsfähigen politischen Kraft gemausert hat, die auch im Lager der Grünen wildert, aber als Koalitionspartner von allen Parteien abgelehnt wird.
So profitiert von den schwarz-grünen Farbenspielen derzeit nur die fast schon abgeschriebene FDP mit Spitzenkandidat Hinnerk Fock (64), die sich nicht zuletzt wegen ihrer Festlegung auf eine Koalition mit der CDU zur geheimen Trumpfkarte konservativer Wähler entwickelt hat. Ihr groß plakatiertes Motto lautet: "Schwarz-Grün verhindern!" Fock wird nicht müde zu warnen: "Die GAL wird sich ein Bündnis von der CDU teuer bezahlen lassen."