Nahrungsmittelkrise
Entwicklungspolitiker plädieren für Landwirtschaftsreformen
Vielleicht, sinniert Waltraud Wolff, sollte man ärmeren Ländern "einen Schutz für sensible Agrarmärkte zugestehen". Ein denkbares Mittel könnten Zölle auf billige Importe sein, meint die SPD-Obfrau im Landwirtschaftsausschuss des Bundestages. Eine solche Maßnahme, die über die Streichung von EU-Exportsubventionen hinausgeht, könne zu "Einschnitten für den Norden auf den Weltmärkten führen".
Wolffs brisante Idee offenbart, dass die Debatte über eine Eindämmung von Versorgungskrisen als Folge dramatisch steigender Lebensmittelpreise heikle Fragen berührt. Aufgeschreckt durch Unruhen etwa in Haiti, Kamerun, Ägypten oder Bangladesch verkünden UNO, Hilfswerke, EU und nationale Regierungen eine zentrale Botschaft: Besonders in armen Regionen wie etwa in Afrika muss durch eine Ausweitung kleinbäuerlicher Agrarproduktion die Eigenversorgung der Bevölkerung gestärkt werden. Wie aber soll ein solcher Schub bewerkstelligt werden? Kanzlerin Angela Merkel will Anfang Juli auf dem G8-Gipfel in Japan ein Konzept präsentieren.
"Geld ist nicht alles", sagen Wolff und Hellmut Königshaus, FDP-Obmann im Entwicklungshilfeausschuss. Aber ohne Geld läuft nichts, weshalb die beiden Politiker wie auch Christian Ruck, Unions-Obmann im Entwicklungshilfeausschuss, eine spürbare Aufstockung der deutschen Mittel für ländliche Regionen fordern. Königshaus kritisiert, dass dieser Etatposten im Vergleich zu 1998 inzwischen um 100 Millionen Euro pro Jahr gesenkt worden sei. Nach OECD-Zahlen steckten die Industriestaaten vor 25 Jahren 17 Prozent ihrer Entwicklungshilfe in ländliche Zonen, mittlerweile sind es noch knapp vier Prozent.
Stärker unterstützt werden sollen über Mikrokredite vor allem Kleinbauern, die weltweit rund 400 Millionen Betriebe mit weniger als zwei Hektar bewirtschaften und bislang kaum Überschüsse produzieren. Ruck verweist auf ein bereits existierendes und ausbaufähiges Netz von privaten Banken und Hilfsorganisationen, die teils in Kooperation mit Behörden Kleinkredite vermitteln.
Einhellig unterstreichen Königshaus, Ruck und Wolff die Notwendigkeit von Landreformen, damit Kleinbauern überhaupt Äcker bepflanzen können. Königshaus: "In der Dritten Welt sind Katasterämter erforderlich, damit Landwirte einen Besitznachweis haben und nicht von Großgrundbesitzern vertrieben werden können."
Preisgünstiges Saatgut und billiger Dünger sind das eine. "Entwickelt werden muss zudem eine effiziente Agrarstruktur", betont Ruck: Transportwege für Produkte, Handels- und Vermarktungssysteme und manches mehr. Und man müsse "in die Ausbildung der Bauern investieren", so Königshaus. Wolff: "Wir sollten unser Knowhow exportieren, auch beim Öko-Landbau". In der Tat: Man muss wissen, wie Maschinen repariert werden, wie Gründüngung funktioniert, wie man eine Genossenschaft organisiert, wie Bewässerung zu managen ist, wie mit Pflanzenkrankheiten umzugehen ist. Schon viele einzelne Entwicklungsprojekte dieser Art sind gestartet worden, doch es mangelt an deren Umsetzung in großem Stil.
Zündstoff verspricht die "grüne Gentechnik". Für Königshaus lässt sich das Armutsproblem "ohne Einsatz der Biotechnologie nicht lösen", die Hektarerträge könnten durch herkömmliche Anbaumethoden nicht im nötigen Umfang gesteigert werden. Ruck denkt daran, mit "salzresistenten Pflanzen auch zerstörte Böden wiederzugewinnen". Wolff gibt Contra: "Die Gentechnik ist keine Antwort auf den Hunger", Erfolge seien bislang ausgeblieben. Die SPD-Politikerin: "Die Konzerne dürfen die Preisgestaltung für Saatgut nicht diktieren."
Mikrokredite, Straßenbau, Ausbildung: Das klingt nicht spektakulär. Schlagzeilenträchtig waren die Hungerkatastrophen der 60er-Jahre in Asien. Dann strömten Tausende Experten in die Region, brachten bessere Reissorten mit, informierten über effizienten Anbau und halfen bei der Entwicklung einer agrarischen Infrastruktur. Spektakulär war die Praxis dieser "Grünen Revolution" nicht. Aber sie wirkte.