Ein Leben ohne polisches Engagement? Für Angelika Graf undenkbar. Die stellvertretende Sprecherin der SPD-Fraktion für Menschenrechte war kaum 15 Jahre alt, als sie begann, sich für Politik zu interessieren. München, wo die heute 60-jährige Politikerin aufgewachsen ist, erlebte in dieser Zeit, 1962, erste Studentenproteste - Auftakt zu den deutschlandweiten Unruhen von 1968. Abrechnung mit der Vergangenheit forderten die Demonstranten auf den Straßen - und zuhause begann auch Angelika Graf Fragen zu stellen: Über den Krieg - und vor allem über den Nationalsozialismus. Doch wie in vielen Familien war auch in ihrer das Thema Tabu. "Mein Vater hat alle Fragen abgeblockt, was meinen Protest natürlich erst recht angestachelt hat", erinnert sich Graf. Die Erziehung sei konservativ gewesen: Mädchen haben lange Haare und Röcke zu tragen. Doch Angelika Graf wehrte sich: "Schon mit 15 habe ich meine Haare abgeschnitten - das war ein Akt des Protests."
Auch sonst ließ sie sich nicht in Schablonen pressen: Sie schrieb sich an der Technischen Hochschule ein, studierte Mathematik und Physik. Zu dieser Zeit durchaus ungewöhnlich: "Frauen waren da nur in Spurenelementen vorhanden", erzählt die Politikerin. Und Toiletten für die insgesamt 17 Studentinnen der Fakultät offenbar auch. Für Graf eine Ungerechtigkeit. Sie wollte Toiletten in Reichweite der Hörsäle auch für Frauen. Anlass für sie, sich in der Studentenpolitik zu engagieren. Sie kandidierte für den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). 1971, als die Öffentlichkeit über die "Stern"-Titelseite "Ich habe abgetrieben!" diskutierte, auf der sich 28 Frauen öffentlich dazu bekanten, abgetrieben zu haben, wurde Angelika Graf Referentin für Frauen, Ausländer und Soziales. Von ihrer Vorgängerin bekam sie einen Zettel in die Hand gedrückt. Darauf: Adressen von Ärzten, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen würden oder zumindest die Pille verschrieben. Ein Dienstgeheimnis? "Oh ja", lacht Graf, "wenn die Polizei käme, sollte ich den Zettel sofort aufessen!" Sie selbst habe nie Gebrauch von dem Zettel machen müssen - auch ihre zwei Töchter habe sie erst bekommen, als sie schon längst verheiratet war und im Berufsleben stand.
Sie arbeitete als Programmiererin, zunächst in München bei Siemens, später bei den Papierwerken Waldhof-Aschaffenburg in der Nähe von Rosenheim. Doch als sie nach der Elternzeit wieder in ihren Job einsteigen wollte und sich beim Arbeitsamt meldete, standen die Chancen schlecht. Teilzeitstellen im Computerbereich seien rar und für eine Umschulung komme sie nicht in Frage. Überqualifiziert, hieß es. "Ich solle doch zuhause bleiben", empört sich Graf noch heute, "ich hätte doch einen Mann, der verdiene." Ein Erlebnis, das sie weiter politisierte. Besonders für Frauen wollte sie sich einsetzen, so Graf. 1977 trat sie der SPD bei, wollte von Anfang an mitmischen. 1983 wurde sie erstmals in den Gemeinderat von Raublingen, einem Ort in ihrem heutigen Wahlkreis Rosenheim, gewählt. Bis zu ihrem Einzug in den Bundestag 1994 behielt sie das Mandat.
Dem Thema Frauen ist die heutige Bundestagsabgeordnete jedoch von den ersten AStA-Tagen bis zu ihrer jetzigen Arbeit im Menschenrechtsausschuss treu geblieben. Allein nach Afghanistan reiste Graf in den vergangenen acht Jahren sechs Mal, um Hilfsprojekte zu unterstützen. Und immer sind es die Frauen, denen ihre Aufmerksamkeit gilt: "Gerade in Kriegsgebieten muss ihnen der Rücken gestärkt werden, damit sie ein Stabilitätsfaktor beim Wiederaufbau der Gesellschaft sein können", erklärt die Politikerin.
Daneben ist Graf zur Anwältin der Senioren geworden. Beschäftigungspolitik, soziale Sicherung, gesundheitliche Prävention, Verbraucherschutz - Seniorenpolitik ist ein weites Feld. Doch gerade das gefällt der 60-Jährigen: "Ich kenne kaum ein spannenderes Thema als die Frage, wie wir alt werden." Die hat sie sich auch selbst schon gestellt. Trotz aller Gedankenspiele über das, was nach einem möglichen Ausscheiden aus dem Bundestag kommen könnte, ist eines klar: Ohne politisches Engagement geht es bei Graf nicht: "Sicher wäre reisen schön - aber ausfüllen würde es mich nicht."