Gregor gysi
Der Chef der Linksfraktion schließt eine Koalition mit der SPD 2009 nicht aus - wenn diese wieder sozialdemokratisch wird
Herr Gysi, Ihre Partei liegt seit Monaten zweistellig in den Umfragewerten, Sie sitzen in zehn Landesparlamenten und viele sehen einen Linksrutsch in Deutschland. Da müssten Sie als Fraktionsvorsitzender doch sehr zufrieden sein?
Bin ich auch. Aber Die Linke tut sich nicht nur schwer, Niederlagen zu verkraften. Auch Erfolge zu verarbeiten, ist nicht so leicht.
Wie meinen Sie das?
Es gibt immer welche, die glauben, dass ihr Anteil nicht genügend gewürdigt wird. Bei Niederlagen ist es genau umgekehrt: Da gibt es immer nur einen Schuldigen, auf den sich alle einigen. Aber im Ernst: Das ist eine gute Entwicklung. Zum Teil liegt es daran, wie wir agieren, aber zum Teil auch an der gesellschaftlichen Stimmung, die entstanden ist. Die ist deshalb entstanden, weil Gerhard Schröder als Bundeskanzler den Thatcherismus in Deutschland durchgesetzt hat. Das ist bei den Leuten, die die SPD aus sozialen Gründen gewählt haben, nicht gut angekommen. Deshalb ist Die Linke so erstarkt. Außerdem bewahrheitet sich ein Satz, den wir früher mal plakatiert haben: Veränderung beginnt mit Opposition. Wir bestimmen derzeit die Themen, über die die anderen diskutieren.
Der frühere SPD-Chef Müntefering hat gesagt, "Opposition ist Mist" - wann stellt sich Ihre Partei dem Realitätstest?
Da macht man sich immer Illusionen, dass man darüber frei entscheiden kann. Natürlich spielt die Arithmetik eine Rolle, aber die entscheidende Frage ist, ob es inhaltlich geht. Die nächste Frage ist, ob es dafür auch eine gesellschaftliche Stimmung gibt. Das Problem ist, dass die SPD sich entschieden hat, eine neoliberale Partei zu sein, so wie die Grünen, die Union und die FDP. Damit hängt zusammen, dass es inhaltlich zur Zeit nicht geht. Die SPD muss erst einmal wieder sozialdemokratisch werden. Wir haben sieben Punkte, die erfüllt sein müssen, damit man überhaupt zusammengehen kann: Bundeswehr raus aus Afghanistan, Überwindung von Hartz IV, Rückkehr zur Rente mit 65, gesetzlicher Mindestlohn, Bekämpfung der Kinderarmut, Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West und die Reform der Gesundheitsreform.
Sprechen wir heute eigentlich mit einem Regierungsmitglied 2009?
Ich glaube an 2009 schon deshalb nicht, weil die SPD unter ihrem Vorsitzenden Kurt Beck neoliberal bleibt. Man sieht das gerade an der Bahnprivatisierung. Die wäre mit uns nicht möglich gewesen. Aber es soll nicht an uns scheitern. Wenn sich die SPD bei den genannten Punkten auf uns zubewegt, dann kann das auch stattfinden. Wir dürfen uns allerdings niemals an einer Bundesregierung beteiligen und dann selbst neoliberal werden. Dann wären wir absolut überflüssig. Selbst wenn wir 2009 an einer Regierung beteiligt wären, werde ich wohl keinen Ministerposten anstreben.
Langfristig können Sie das Land in Ihrem Sinne aber nur dann verändern, wenn Sie mit den Sozialdemokraten zusammenarbeiten.
Dazu sehe ich die Möglichkeit, wenn die SPD wieder sozialdemokratisch wird. Sie muss es werden, weil sie sonst überflüssig wird. Eine zweite Union brauchen wir nicht.
Macht Die Linke erst dann Schritte auf die SPD zu, wenn Oskar Lafontaine nicht mehr mit von der Partie ist?
Wenn eine gesellschaftliche Atmosphäre da ist und der Inhalt stimmt, kommt so etwas zustande. Das scheitert nie an einer Person.
Mal sehen, was 2009 passiert, wie stark wir werden, was sich für eine Koalition bildet, wie lange die hält. Ich schließe eine Koalition mit der SPD 2009 nicht definitiv aus, aber ich glaube nicht daran.
Sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Zusammenarbeit mit einem SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier?
Nein, davon hängt das nicht ab. Wir machen solche Entscheidungen nicht abhängig von einer Person.
In knapp zwei Wochen haben Sie ihren ersten Parteitag nach der Fusion von PDS und WASG. Warum werden Sie dann kein Parteiprogramm verabschieden?
Wir haben ja schon programmatische Eckpunkte, die durch Urabstimmung der Mitglieder bestätigt worden sind. Ich denke, dass in diesem Jahr ein Entwurf für ein neues Parteiprogramm fertig wird. Aber wir haben keine überzogene Eile.
Derzeit driften die Positionen Ihrer Realos aus dem Osten und die Ihrer radikalen Oppositionellen aus dem Westen auseinander. Lassen sich diese beiden Strömungen überhaupt in einem Programm zusammenbinden?
Ich denke schon, dass wir das hinkriegen. Man muss zu Kompromissen bereit sein. Eines darf nicht passieren: dass die westlichen Landesverbände denken, der Osten muss so werden, wie sie sind, und die östlichen Landesverbände denken, der Westen muss so werden, wie sie sind. Das ist ein bisschen die Haltung. Die müssen wir überwinden. Beide Seiten müssen sich verändern.
Ihre Forderungen kosten immer viel Geld. Im Leitantrag für den Parteitag ist ein Zukunftsinvestitionsprogramm vorgesehen. Kosten: 50 Milliarden Euro…
Das sind keine Luftschlösser. Deutschland liegt mehr als fünf Prozent unter der Steuer- und Abgabenquote der EU. Würden wir nur im Durchschnitt liegen, was man ja wohl erwarten darf, hätten wir jährliche Mehreinnahmen von 120 Milliarden Euro. Damit wären alle unsere Vorschläge finanzierbar. Macht man das nicht, dann ist es natürlich nicht finanzierbar.
Herr Gysi, Oskar Lafontaine, ihr Co-Fraktionsvorsitzender, gilt als sehr autoritär. Wie erleben Sie ihn?
Wir sind beide sehr ehrlich zueinander - das ist unsere Stärke. Deshalb ist das, was die Medien prognostiziert hatten, dass wir es keine sechs Wochen miteinander aushalten würden, nie passiert. Natürlich ist er ein anderer Leitungstyp. Ich war auf meine Art Vorsitzender, Lothar Bisky ist ein moderierender Vorsitzender und Oskar ist eben ein chefiger Typ. Da müssen alle durch. Er steht für den Erfolg der Partei, das kann niemand ersetzen. Aber es gibt natürlich aufgrund der Prägung durch unterschiedliche Systeme in Ost und West einige Probleme. Ich versuche zu erklären, dass das keine Bösartigkeit ist. Lafontaine setzt Dinge durch, die für uns wichtig sind.
Neben Jerzy Montag sind Sie der einzige Bundestagsabgeordnete, der vom israelischen Staatspräsidenten Peres zu einem Weltforum nach Jerusalem eingeladen ist. Macht Sie das stolz?
Stolz ist der falsche Ausdruck. Ich finde es aber eine spannende Herausforderung. Im Kern geht es darum, wie können wir Juden und Palästinensern vermitteln, dass es Frieden nur gibt, wenn sie ihn beide haben.
In einer Rede haben Sie sich kürzlich klar gegen den linken Antizionismus und für die Solidarität mit Israel als Teil der deutschen Staatsräson ausgesprochen. Warum war Ihnen das so wichtig?
Der Zionismus ist nicht sympathisch, aber er hat in einer Kernfrage recht: Wir brauchen einen jüdischen Nationalstaat. Man konnte 1945 den Juden nach dem Holocaust nicht sagen, ordnet euch ein in Europa. Deshalb muss Die Linke sagen, der Zionismus hat mit Blick auf die Bildung eines jüdischen Nationalstaats Recht. Wenn das richtig ist, ist die nächste Konsequenz, dass es einen Staat Palästina geben muss. Die Palästinenser dürfen denken, dass sie einen Teil der deutschen Schuld abtragen - der Staat Israel wäre schließlich nicht gebildet worden ohne die Verbrechen der Deutschen an den Juden. Wenn sie so denken dürfen, heißt das: Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber den Juden, aber auch gegenüber den Palästinensern.
Themenwechsel: Derzeit wird munter über die Zukunft des Bundespräsidenten diskutiert. Wer ist der Kandidat der Linken?
Wir haben noch keinen. Der Köhler ist nett, aber neoliberal. Und wir haben schon so viele Neoliberale, deshalb hoffe ich, dass uns eine Alternative einfällt.
Das Interview führten Sebastian Hille und Monika Pilath.