Frauen in der islamischen Welt
Drei deutsche Autoren bieten Lesestoff abseits der gängigen Klischees über den Orient
Wie verändern Globalisierung und Modernisierung das Leben muslimischer Frauen? Drei neue Bücher widmen sich direkt oder indirekt diesem Thema. Bei den namhaften Autoren handelt es sich um zwei Journalistinnen und einen Publizisten aus Deutschland, die jetzt allesamt ihre Vor-Ort- Eindrücke und -Erkenntnisse in Buchform präsentieren.
Charlotte Wiedemann, langjährige freischaffende politische Journalistin, ist in den letzten Jahren durch ihre zahlreichen Reportagen über die Lebensverhältnisse in islamisch geprägten Ländern in Erscheinung getreten. Diese ganz überwiegend im Auftrag der "Zeit" entstandenen Beiträge, hat sie nun unter dem Titel "Ihr wisst nichts über uns! Meine Reisen durch einen unbekannten Islam" zusammengefasst. Wiedemann bietet Qualitätsjournalismus, denn die neun Reportagen über zehn Länder vermögen es tatsächlich, selbst gut informierten Lesern einen neuen Blick auf das Leben der Menschen im jeweiligen Land zu eröffnen. Der Autorin und Universitäts-Dozentin ist es wichtig, dem Leser nicht die immer wiederkehrenden bekannten Geschichten anzubieten, die für sich genommen zwar nicht falsch sind, aber durch die Einseitigkeit ihrer Perspektive verfälschend wirken. Deshalb entzieht sie sich der üblichen Hektik des Korrespondentenalltags und setzt auf ausgedehnte Recherchereisen, während derer sie sich "die Fremde" durch Gespräche, Beobachtungen und Vergleiche zu erschließen hofft.
Wiedemann ist die Öffnung des Blickwinkels gelungen. Das lässt sich an allen Beiträgen ablesen. Besonders aber an jenen über die "Kopftuch-Mädchen" in der Türkei, die vorwärtsstrebenden Frauen in Saudi-Arabien und die in "paradoxen" Verhältnissen lebenden Iranerinnen. En passant lernt der Leser Akteurinnen kennen, die trotz Ganzkörperverschleierung durch ihre Bildung, ihr Engagement und ihre Aufgeschlossenheit einen Islam repräsentieren, der jenseits des Islamismus und Terrorismus liegt. Es wird nachvollziehbar, weshalb die islamische Religion aus der Sicht so vieler Menschen in der Region für Fortschritt steht - und warum der Westen als Vorbild abgelehnt wird.
Möglich ist dies, weil Wiedemanns Reportagen weit mehr darstellen als authentische Momentaufnahmen spezifischer Lebensverhältnisse, sie gehen in die Tiefe, vermitteln sowohl historisches als auch politisches und soziales Wissen und dies, ohne dass sich die Autorin auch nur ansatzweise realitätsverbrämender Orient-Klischees bedienen müs-ste. Dieser gewissen Zeitlosigkeit ist es auch zu verdanken, dass die ein oder andere fehlende Aktualisierung - die rund zwei Millionen irakischen Flüchtlinge in Syrien sind in dem ansonsten sehr informativen entsprechenden Kapitel kein Thema - nicht zu sehr ins Gewicht fällt.
Ähnlich wie Charlotte Wiedemann profitierte auch Christiane Hoffmann bei ihrer journalistischen Arbeit von ihrer Weiblichkeit, weil sie in Iran sowohl zur Männer- als auch zur Frauen-Welt Zutritt erhielt. Sie berichtete 1999 bis 2004 als einzige deutsche Korrespondentin für die FAZ aus Teheran. In "Hinter den Schleiern Irans. Einblicke in ein verborgenes Land" berichtet sie über ihren damaligen Aufenthalt. Sie lässt den Leser an intellektuellen Frauen-Zirkeln, rituellen Trauerfesten und dem Leben im Moloch Teheran teilhaben und führt ihn mit auf ihren Reisen durchs Land. Darüber hinaus versteht sie es, - neben Erläuterungen zum politisch-gesellschaftlichen System Irans und zu den Spuren der jüngsten Kriegsgeschichte mit Irak - das Land begreifbar zu machen, indem sie ihre persönlichen Erlebnisse bewusst einbezieht. So fanden sowohl die Geburt ihrer Tochter als auch ihre Krebserkrankung Eingang in ihre Betrachtungen.
Es war auch das Anliegen der Autorin, ein "subjektives Buch" zu schreiben, in dem sie über ihre Zweifel sprechen konnte, die aus ihrer spezifischen Rolle als westliche Korrespondentin in einem islamischen Land herrührten. So beschreibt sie anschaulich, wie ihre anfängliche professionell begründete Unbeteiligtheit im Verlauf der fünf Jahre zu bröckeln begann und einer ambivalenten Standortsuche Platz machte. Und welche Schwierigkeiten es ihr bereitete, einen Kompromiss zwischen ständiger Rebellion und kritikloser Anpassung zu leben, was sich am deutlichsten bei der Frage der islamischen Kleiderordnung zeigt. Aber auch ihre Freundschaft zur Übersetzerin Roja steht für diese Komplexität. Sie schreibt: "(...) ich bleibe der Westen". Weil Hoffmann - bei aller Nähe und Herzlichkeit, die ihr entgegengebracht wird - immer eine Vertreterin des als übermächtig empfundenen Westens darstellt, wirken Misstrauen und Distanz auch in ihren privaten Beziehungen fort. Ein schmerzliches Erleben, das sich nach der Wahl Ahmedinejads im Sommer 2005, also nach ihrer Abreise, noch verschärfen sollte.
Insgesamt ist das vornehmlich thematisch und nicht chronologisch geordnete Buch das Ergebnis einer ruhigen, verinnerlichten Herangehensweise, in dem bewusst auf Antworten verzichtet wird, das aber umso mehr Anregung zur intellektuellen Auseinandersetzung bietet.
Gerhard Haase-Hindenberg stellt in seinem Buch "Das Mädchen aus der Totenstadt. Monas Leben auf den Gräbern Kairos" eine einzelne Frau in den Mittelpunkt seiner Reportage, die - und das ist durchaus eine Besonderheit - weder zur Ober- noch zur Mittelschicht zählt. Der Schauspieler, Regisseur und Autor ist in den vergangenen Jahren durch eine Reihe zeitgeschichtlicher Bestseller, wie das Porträt über den Sohn von Günter Guillaume, publizistisch bekannt geworden. Dieses Mal handelt sein Buch von der unbekannten 18-jährigen Mona, die mit ihren Eltern und sieben jüngeren Geschwistern auf einem Grabhof in der so genannten Totenstadt Kairos lebt.
Eher zufällig machte Haase-Hindenberg die Bekanntschaft der jungen Frau, als er über die Lebensumstände im Viertel der Imam al-Shafi`i-Moschee recherchierte. Mona und ihre Familie gehören zu den schätzungsweise weit über 12.000 Menschen, die auf den Gräbern Verstorbener leben, weil sie zu arm und ungebildet sind, um in der Millionen-Metropole Kairo eine bessere Bleibe finden. Dafür werden sie verachtet. Nach der Lektüre ist der Leser mit den Schatten- und den Sonnenseiten des dortigen Lebens soweit vertraut, dass er zu ermessen in der Lage ist, weshalb Mona ihr Viertel prinzipiell verschweigt, aber dennoch stolz darauf ist. Das Buch ist eine Mischung aus Biografie und Autobiografie, denn der Erzählfluss des Autors, der sich vor Ort intensiv mit den Lebensverhältnissen auseinandergesetzt hat, wird durch gekonnt eingesetzte Textpassagen unterbrochen, die aus Monas Tagebuch stammen oder die sie eigens für dieses Buch geschrieben hat.
Monas Eltern, beide Analphabeten, können den Aufstieg ihrer Tochter von einer einfachen Reinigungskraft zur Putzhilfe der Chefetage und später zu einer kaufmännisch qualifizierten Angestellten kaum begleiten. Berührend und sensibel wird etwa beschrieben, wie ihr ärmlich gekleideter Vater es sich nicht nehmen lassen wollte, Mona an ihrem ersten Arbeitstag in der ägyptischen Staatsbank in die Innenstadt Kairos zu begleiten - und danach orientierungslos in den Straßen umherirrte, weil er den Weg nicht mehr zurückfand. Selten lässt sich an einem Einzelschicksal so gut ablesen, welche Brüche ein Leben kennzeichnen, das genau an der Naht zwischen Tradition und Moderne verläuft.
Ihr wisst nichts über uns! Meine Reisen durch einen unbekannten Islam.
Verlag Herder, Freiburg 2008; 224 S., 14,95 ¤
Hinter den Schleiern Irans. Einblicke in ein verborgenes Land.
DuMont Buchverlag, Köln 2008, 319 S., 19,90 ¤
Das Mädchen aus der Totenstadt. Monas Leben auf den Gräbern Kairos.
Wilhelm Heyne Verlag, München 2008, 286 S., 19,95 ¤