Biografie
Jutta Ditfurth über die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof und eine Freundschaft, die nie bestand
Jutta Ditfurth hatte eine Mission. Sechs Jahre recherchierte die Mitbegründerin der Grünen und heutige Frankfurter Stadtverordnete der Wählervereinigung "ÖkoLinX-Antirassistische Liste" an ihrem Werk über die bekannteste deutsche Terroristin und wollte dabei herausfinden, wer sie wirklich war: Ulrike Meinhof. Bei dieser Arbeit, so Ditfurth in einem Interview, habe sie bemerkt, "wie viel Schrott, wie viele Mythen, wie viel Lügen, wie viel Manipulationen über ihr Leben gelegt" worden seien. In ihrer Biografie über Ulrike Meinhof räumt sie mit diesen auf - und das gründlich.
Obwohl sich die 56-jährige Publizistin durchaus den Vorwurf gefallen lassen muss, weniger um Objektivität bemühte Biografin Meinhofs zu sein als es dem Buch gut getan hätte, wirft sie einige der bisherigen Fundamentalgewissheiten über die ehemalige Journalistin, die zum Inbegriff des deutschen Linksterrorismus werden sollte, über Bord.
So stammte Meinhof keineswegs aus einer christlich-widerständigen Familie, noch war Renate Riemeck, bei der sie nach dem Tod ihrer Mutter lebte, immer schon eine überzeugte linke Sozialdemokratin gewesen. Meinhof, so schreibt es Ditfurth, habe aus einer "sehr deutschen Familie" gestammt, sowohl ihr Vater als auch dessen Verwandte seien "überzeugte NS-Faschisten gewesen". Ihre Ziehmutter Riemeck sei NSDAP-Mitglied gewesen und habe bei Johann von Leers gearbeitet, der dem Antisemitismus eine wissenschaftliche Basis geben wollte. Was Ditfurth über das erste Leben der Ulrike Meinhof akribisch zusammengetragen hat, ist durchweg interessant und hoch spannend geschrieben, auch wenn fehlende Quellenangaben es schwer machen, die detaillierten Schilderungen nachzuprüfen.
Anstrengend wird die Biografie an dem Punkt, ab dem Ditfurth die Radikalisierung Meinhofs nachvollziehen will und sich dabei zu stark deren Sicht auf die "westdeutschen Verhältnisse" zu eigen macht. Kritische Worte zu Meinhofs Entschluss, ihre beiden Töchter zurückzulassen, finden sich ebenso wenig wie die Differenzierung, dass die staatlichen Stellen auf die RAF zwar hart reagierten, die Gruppe in ihrem vermeintlichen revolutionären Kampf eben auch Menschen getötet und den Staat angegriffen hatte. Die Bösen sind immer die anderen: Meinhofs Ehemann Klaus-Rainer Röhl, der "wild werdende Staat", die Denunzianten.
Doch auch wenn man dies ebenso wie Ditfurths These, Meinhof sei bewusst in die Illegalität gegangen und nicht nach der gescheiterten Baader-Befreiung in einen verhängnisvollen Sog geraten, nicht teilen muss und ihrer Interpretation widersprechen kann, der Staat habe es auf eine "systematische Gesundheitszerstörung von Gefangenen angelegt" und sich damit schuldig gemacht - die sechsjährige Recherche für das Buch hat sich gelohnt. Wer sich Ulrike Meinhof so weit annähren will, wie es über ein Buch nur möglich ist, sollte Ditfurths knapp 500-seitigen Band lesen.
Weit weniger lohnend ist allerdings die krude Zweitverwertung des Materials, die Ditfurth im April nachgelegt hat - und mit der sie den Mythen und Manipulationen rund um das Leben der RAF-Gründerin weitere hinzufügt. "Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft" heißt der Band, mit dem Jutta Ditfurth den guten Ruf, den sie sich zu Recht mit ihrer Meinhof-Biografie erworben hat, wieder aufs Spiel setzt. Darin will sie die enge Freundschaft zwischen Meinhof und dem ideologischen Kopf der Studentenbewegung, Rudi Dutschke aufzeigen.
Nur: Die gab es nicht. Als Beweis gilt Ditfurth lediglich ein Zitat Meinhofs: Nach dem Attentat auf Dutschke im April 1968 hatte die gesagt: "Ist es ein Wunder, dass sie ausgerechnet auf ihn geschossen haben? Den mir liebsten unter meinen politischen Freunden." Das findet sich sowohl auf dem Klappentext als auch an unzähligen Stellen im Buch, doch weitere Belege fehlen. Weder in den Briefen und Tagebucheinträgen der beiden finden sich Belege auf eine Beziehung, die über eine bloße Bekanntschaft -man verkehrte schließlich in denselben Kreisen - hinausgingen.
Wenig verwunderlich dementierte Dutschkes Witwe Gretchen nach Erscheinen des Buchs die vermeintlich innige Freundschaft: Dutschke und Meinhof hätten sich vielleicht fünf Mal getroffen, Freunde seien sie nicht gewesen. Auch ehemalige Weggefährten Dutschkes können sich an das von Ditfurth beschworene innige Verhältnis nicht erinnern, "Quatsch" und "Fiktion" sei das. Immer wieder schildert Ditfurth Gelegenheiten, bei denen Meinhof und Dutschke sich getroffen "haben könnten" und mutmaßt über Themen, die sie "ziemlich wahrscheinlich" dabei be- sprachen.
Warum dieses Buch geschrieben wurde, ist rätselhaft. In einem Interview zu ihrer Meinhof-Biografie hat Jutta Ditfurth gesagt, durch die lange Recherche an dem Band sei sie "komplett verschuldet". Vielleicht lässt sich mit Mythen mehr Geld verdienen als mit Fakten.
Ulrike Meinhof. Die Biographie.
Ullstein Verlag, Berlin 2007; 479 S., 22,90 ¤
Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft.
Droemer Verlag, München 2008; 238 S., 16,95 ¤