Medienskandal
Vor 25 Jahren veröffentlicht der »Stern« die gefälschten Hitler-Tagebücher
Vor kurzem fiel die "Los Angeles Times" mit einer Geschichte gehörig auf die Nase. Sie veröffentlichte Dokumente, die beweisen sollten, dass der Musiker Sean "Diddy" Combs in einen Anschlag auf den 1994 ermordeten US-Rapper Tupac Shakur verwickelt war. Die Enthüllungsstory löste sich in Luft auf, denn die vermeintlichen Beweise waren gefälscht. Was einfach zu klären gewesen wäre, denn das FBI, von dem die belastenden, schreibmaschinengetippten Unterlagen stammen sollten, benutzte schon damals gar keine Schreibmaschinen mehr.
Medien, die auf gefälschte Unterlagen hereinfallen, gibt es immer wieder. Kein Zweifel kann allerdings daran bestehen, dass die Veröffentlichung der falschen Hitler-Tagebücher, denen die Illustrierte "Stern" aus dem Hause Gruner+Jahr Anfang der 80er-Jahre aufsaß, eine der schwerwiegendsten Fehlleistungen der deutschen Pressegeschichte darstellt.
25 Jahre nach dem Fiasko publiziert der ehemalige "Stern"-Redakteur Michael Seufert nun seine akribische Aufarbeitung des Falls, der bereits in Helmut Dietls Film "Schtonk!" genüsslich ausgewalzt wurde. Seufert bekam damals von "Stern"-Gründer Henri Nannen den Auftrag, die Affäre aufzuklären. Was sich hinter den Kulissen abspielte, ist inzwischen Allgemeingut: Der notorische Fälscher Konrad Kujau hatte dem "Stern"-Reporter Gerd Heidemann unter falschem Namen die selbstverfassten Tagebücher angedient und um deren Entdeckung eine Lügenlegende gestrickt.
Heidemann, der just zu der Zeit einen Spleen für Nazi-Memorabilia entwickelte, als Reporter aber mit einigen Meriten ausgestattet war, fiel offenbar nur zu gerne auf die Geschichte herein. Denn der Verlag war bereit, viel Geld für die vermeintliche Sensation auszugeben. Am Ende waren es über neun Millionen Mark. Das Versprechen von Ruhm, Ehre und viel Geld zog nicht nur einen einzelnen Reporter und seinen Ressortleiter, sondern auch die Führungsriege des Verlags in seinen Bann. Verlagschef Manfred Fischer sprach von einer "Gruppenpsychose", Autor Seufert nennt die Veröffentlichung eine "programmierte Katastrophe".
Das Possenspiel um die mit den Plastikbuchstaben "FH" beklebten Tagebuch-Kladden aus ostdeutschen Konsum-Märkten hätte leicht auffliegen können, wenn nur ganz simple journalistische Standards beachtet worden wären. Doch sie wurden eben nicht beachtet, stattdessen eine ganze Reihe von Anhaltspunkten, die gegen die Echtheit der Bücher sprachen, in den Wind geschlagen. Entsprechend wird in Seuferts chronologischer Erzählung von allen Beteiligten über angeb- liche Hitler-Gedichte und -Aufzeichnungen gestaunt, was das Zeug hält. Geprüft wird dagegen kaum etwas.
Eine entscheidende Erklärung für das Versagen der Kontrollmechanismen ist nach Seufert die von den Beteiligten vorangetriebene Auflösung der Grenzen zwischen Redaktion und Verlag. Während die Chefredaktion des "Stern" lange nichts von der Tagebuch-Aktion wusste, schloss Heidemann Verträge mit den Verlagsmanagern ab. Die sinnierten ihrerseits bereits über lukrative Vermarktungsketten, bevor überhaupt ernstzunehmende Echtheitszertifikate auf dem Tisch lagen.
Auf über 300 Seiten gerät die insgesamt gut lesbare Skandal-Aufarbeitung gelegentlich etwas langatmig. Immer wieder liefert Seufert neue, absurde Details der Groteske, die den Leser aber mit zunehmender Lesedauer nicht mehr sonderlich verblüffen. Und sicher sind die Hintergründe der Posse auch 25 Jahre später erzählenswert. Sie hätten aber auch ruhig zehn, 15 Jahre früher erscheinen können.
So hat man es unter dem Strich mit einem ansprechend erzählten Lehrbuch für Journalisten zu tun. Denen schreibt Seufert ins Stammbuch, sie sollten jederzeit exakt recherchieren und ihre Quellen kritisch bewerten. Denn so banal das letztlich sein mag - die "LA Times" hat gerade wieder bewiesen, dass solche Hinweise niemals überflüssig werden.
Der Skandal um die Hitler-Tagebücher.
S. Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 2008; 320 S., 14,90 ¤