Anti-terror-Krieg
Oliver Roys Kritik an den Strategien des Westens
Die Strategie der neokonservativen amerikanischen Regierung unter Präsident George W. Bush beruhte nach dem 11. September 2001 auf zwei großen Irrtümern, meint Oliver Roy, Forschungsdirektor des renommierten Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Paris. Zum einen handelte es sich um einen eklatanten Fehler, einen "globalen Krieg gegen den Terrorismus" zu konzipieren. Zum anderen irrte Bush als er die militärische Intervention im Irak aus ideologischen Gründen zur tragenden Säule der amerikanischen "werte-orientierten" Politik für das 21. Jahrhundert machte. Roy hatte bereits vor dem Irak-Krieg auf die Konsequenzen einer Besetzung des Zweistromlandes hingewiesen: "Washington behauptet, es wolle einen befreundeten, demokratischen und stabilen Irak installieren. Vergessen Sie das (...) Es gibt keine Demokratie ohne Nationalismus, und die Iraker werden früher oder später gegen die amerikanische Präsenz protestieren".
Olivier Roy ist einer der profundesten Kenner der islamischen Welt und des Islamismus. Sein neuestes Buch "Der falsche Krieg" stellt eine brillante Synthese seiner bislang erschienenen wissenschaftlichen Artikel und Bücher über den politischen Islam sowie die Lage im Nahen und Mittleren Osten dar. Auf Grund seiner Sprachkenntnisse, seiner zahlreichen Aufenthalte vor Ort, seiner Arbeit für die Vereinten Nationen und seiner Beratertätigkeit für die französische Regierung verfügt er über enorme Sach- und Hintergrundkenntnisse. Sie machen seine Analysen so wertvoll und seine Kritik so bedeutsam. Hier verfasst kein Wissenschaftler Standardwerke nur für seine Seminaristen - und auch als Mitarbeiter einer "Denkfabrik", der die Ergebnisse seiner Studie im Sinne der Fragestellung seines Auftraggebers interpretiert, wäre der Forschungsdirektor eine Fehlbesetzung. Gewicht erhalten seine Arbeiten, weil sich der Autor nicht nur seine Unabhängigkeit bewahrt hat, sondern die Kräfteverhältnisse und Interessen in der Region richtig einzuschätzen weiß.
Von daher kann niemanden die harte Kritik Roys an den westlichen "Denkfabriken" überraschen: Erinnert sei nur an die vor dem Irak-Krieg vielfach beschworene wundersame Wandlung islamischer Diktaturen in Demokratien, die vermeintliche Existenz einer "Geostrategie des Islam" oder die vom Irak Saddam Husseins ausgehende Bedrohung für den Weltfrieden. Ebenso kritisiert der Forschungsdirektor die Überbetonung der Bedeutung Al-Qaidas als der globalen Gefahr des 21. Jahrhunderts.
Laut Roy war es ein zentraler Fehler, dass der US-Regierung nach dem 11. September quasi eine Blankovollmacht zugebilligt wurde und im Zorn agieren durfte. Die internationale Gemeinschaft solidarisierte sich entweder mit der Supermacht oder ging auf Tauchstation. Dabei hatte Washington von dem eigentlichen Feind keine Ahnung. Hinzu kamen die Pläne der US-Strategen, eine Politik des Demokratie-Exportes mittels militärischer Interventionen im Irak und in Afghanistan durchzusetzen. Damit erreichte "der Westen" das Gegenteil: anstatt eine kleine Terrorbande zu vernichten, wurde Al-Qaida nur noch einflussreicher. Mit dem Irak-Krieg riefen die USA neue Geister herbei, die die sicherheitspolitische Lage vor Ort weiter destabilisierten.
Im Zuge der Irak-Krise entwickelte sich die Islamische Republik Iran zum wichtigsten Akteur in der Region. Zugleich wurde die Position der Schiiten in ihrem Kampf gegen die Sunniten gestärkt. Der Wissenschaftler legt dar, dass die israelische Regierung wegen des Iran-Faktors einen amerikanischen Krieg gegen den Irak von Anfang an ablehnte.
Roys Analysen der Hisbollah und Al-Qaidas sind lesenswert. Bedenkenswert ist auch seine Bewertung der "neuen Welle" von Terroristen, allesamt europäische Konvertiten, die sich vor 30 Jahren eher der extrem linken oder extrem rechten Szene angeschlossen hätten.
Der falsche Krieg. Islamisten, Terroristen und die Irrtümer des Westens.
Siedler Verlag, München 2008; 192 S., 19,95 ¤