VON SEBASTIAN HILLE
Es gibt wenige Dinge, zu denen jeder eine Meinung hat, gar leidenschaftliche Liebe oder absolute Abneigung empfindet. Sport ist eine solche. Da sind die fanatischen Aktiven, nahezu Süchtige, für die ein Tag erst dann ein guter ist, wenn sie mindestens zwei Stunden gelaufen oder zumindest zum Bodystyling im Studio gewesen sind. Da sind ebenso fanatische Passive, reine Konsumenten, denen kein Sportereignis der Welt entgeht, die samstags im Fußballstadion ihren Jungs die Daumen halten und sonntags vor dem Bildschirm mit den Formel-1-Piloten fiebern.
Am anderen Ende der Sport-Skala stehen die, die es mit dem biritschen Ex-Premierminister Churchill sagen: "No Sports". Körperliche Ertüchtigung ist für sie unnötige Schinderei und sie können nicht verstehen, wie man zugucken kann, "wie 22 Männer hinter einer Lederkugel herrennen" oder Menschen 100 Meter über die Tartanbahn wetzen, als ginge es um ihr Leben. Zwischen den Extremen hat die Mehrheit ihren Platz. Für sie gehört Sport aktiv wie passiv mehr oder minder exzessiv einfach zum Leben: Ein bisschen laufen, ein bisschen visuell und finanziell konsumieren, ein bisschen fiebern - gern darf es auch mal etwas mehr sein.
Im Sport steckt jedoch viel mehr als persönliche Erbauung und -tüchtigung, Zerstreuung und Ausgleich, die zusammen sicherlich den größten Anteil an der wichtigen Rolle des Sports in der Welt ausmachen. Sport ist gleichsam Kitt unserer Gesellschaften, identitätsstiftend wie grenzenüberwindend.
Die vorliegende Themenausgabe will dieses Mehr des Sports aufzeigen: Es geht um die vielgestaltigen Beziehungen und gegenseitige Abhängigkeiten von Sport und Politik, um die Wurzeln des Sports aus dem Krieg, um positive wie negative Folgen von Kommerzialisierung und Rekordstreben, um gesellschaftliche Relevanz und politische Standpunkte. Unsere Autoren beleuchten ebenso die bevorstehenden, durch das Verhalten Chinas gegenüber Tibet politisch diskutierten Olympischen Sommerspiele wie die Verseuchung des Sports durch Doping.
Neben dem öffentlichkeitswirksamen Spitzensport nimmt diese Themenausgabe auch den Breitensport in Deutschland in den Blick - einen gesellschaftlichen Bereich, in dem 27 Millionen Menschen in Vereinen organisiert sind und sich 2,1 Millionen Menschen ehrenamtlich engagieren. Um das Bild des Sports in Deutschland zu komplettieren, haben wir mit Sportpolitikern wie dem Sportausschussvorsitzenden Peter Danckert (Seite 2), Sportfunktionären wie dem DOSB-Präsidenten und IOC-Vize Thomas Bach (Seite 7) und aktiven Sportlern wie der Kapitänin der deutschen Hockeynationalmannschaft, Marion Rodewald, (Seite 5) gesprochen. In Verbindung mit den Sorgen und Nöten, aber auch der Leidenschaft in kleinen Breitensport-Vereinen (Seite 9 und Seite 14) lässt sich erahnen, warum der Sport Faszination wie Aversion sein kann, warum er jährlich Hunderte Milliarden Euro umsetzt und warum jeder zum Sport eine Meinung hat.