Wehrmacht
Die blutige Geschichte der Edelweiß-Division
Die Männer der 1. Gebirgs-Division fühlten sich als Elite der Wehrmacht. In einer Regimentsgeschichte heißt es: Jeder Soldat müsse "zu jedem Einsatz bereit sein". Zu allem bereit waren die Soldaten der Division, die das Edelweiß im Wappen führte, tatsächlich. Sie waren sogar bereit, Zivilisten und italienische Kriegsgefangene zu erschießen. Hermann Frank Meyer hat jetzt eine umfassende Geschichte der 1. Gebirgs-Division vorgelegt: "Blutiges Edelweiß".
Selten zuvor wurde die Geschichte einer Division der Wehrmacht so detailliert geschildert - und so kritisch. Meyer zur Intention seines 800-Seiten-Werkes: "Wer die verbrecherischen Befehle erlassen, wer sie befolgt hat, wie unmenschlich vorgegangen wurde und mit welcher hanebüchenen Begründung alle, ja, alle Ermittlungsversuche in der Nachkriegszeit niedergeschlagen (...) wurden - das sind die Fragen, auf die ich in diesem Buch eine Antwort zu geben versuche."
Meyer schildert akribisch die Aufstellung der Einheit, ihre Einsätze in Polen, Frankreich und der Sowjetunion. Schwerpunkt des Buchs ist die Darstellung der Einsätze der Edelweiß-Division auf dem Balkan. Ab Mai 1943 und bis zum Kriegsende war die Einheit zur Partisanenbekämpfung in Jugoslawien, in Albanien und Griechenland eingesetzt. Aufständische, die "bei Kampfhandlungen mit der Waffe in der Hand (...) angetroffen werden", seien "grundsätzlich an Ort und Stelle zu erschießen oder zu erhängen", befahl der Divisionskommandeur im Mai 1943. Auf Überfälle der jugoslawischen Partisanen reagierten die Deutschen mit so genannten "Sühnemaßnahmen". Die Quote bei der 1. Gebirgsdivision belief sich auf "50:1 für einen getöteten beziehungsweise 25:1 für einen verwundeten Deutschen". Für einen verwundeten Deutschen mussten 25 Jugoslawen sterben.
Auf dem Balkan hinterließen die Gebirgsjäger eine Spur der Verwüstung. In Griechenland war es nicht besser. Ein Beispiel: Im Zuge des Unternehmens "Augustus" brannte die 1. Gebirgsdivision 20 Dörfer nieder und tötete 250 angebliche Banditen. Stellvertretend für die Greuel der deutschen Gebirgsjäger sei hier nur an das Schicksal des griechischen Ortes Kommeno erinnert. Dort soll es laut Zeugenaussagen zu unvorstellbaren Misshandlungen von Frauen und Kindern gekommen sein. Fakt ist, dass die Einwohner umgebracht wurden.
Ein ehemaliger Maschinengewehrschütze, der Gefreite Anton Ziegler, erinnerte sich 55 Jahre später: "Der hinter mir stehende Leutnant oder Gruppenführer gab mir den Befehl, auf die Griechen zu schießen. Ich weigerte mich. Unter den Griechen befanden sich Frauen und Kinder. (...) Ich hielt dies für ein Verbrechen." Ziegler schoss schließlich. Genauso erschossen seine Kameraden im September 1943 auf der griechischen Insel Kefalonia italienische Kriegsgefangene: 5.000 sollen ermordet worden sein.
Von diesen Taten wollten viele der einstigen Elitesoldaten nach dem Krieg nichts wissen. Doch einige Ankläger der alliierten Siegermächte schon. Hubert Lanz, General der Gebirgstruppe, wurde 1948 in Nürnberg für die in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt. Drei Jahre später wurde er amnestiert. Etliche Offiziere, die sich schuldig gemacht haben, wurden nie zur Rechenschaft gezogen.
Kaum aus der Haft entlassen, rief Lanz die Veteranenorganisation "Kameradenkreis der Gebirgstruppe" ins Leben. Zum ersten großen Treffen nach dem Krieg kamen 8.000 Ehemalige. 1956 verfügte Verteidigungsminister Franz Josef Strauß die Aufstellung der 1. Gebirgs-Division der Bundeswehr. Ihr Abzeichen: das Edelweiß. Zahlreiche ehemalige Offiziere und Unteroffiziere der einstigen Wehrmachtstruppe machten Karriere in der neuen Division.
Bundeswehr-Gebirgsjäger und ehemalige Wehrmachts-Gebirgsjäger trafen sich alljährlich beim Ehrenmal der Truppe in der Nähe von Mittenwald zur Gedenkfeier. Die Geschichte der Division wurde kaum kritisch hinterfragt. Noch im Jahr 2000 sagte der NATO-Kommandeur und Vier-Sterne-General Klaus Reinhardt über die Gründer der Gebirgstruppe der Bundeswehr: "Diese Männer waren unsere Vorbilder, und sie repräsentierten eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten, [die] der nachfolgenden Generation das Koordinatensystem ihrer Werteordnung" weitergegeben hätten.
Erst unter Ernst Coqui, dem inzwischen zurückgetretenen Präsidenten des Kameradenkreises, habe es Ansätze eines Umdenkens gegeben, so Meyer. 2004 sagte Coqui anlässlich der alljährlichen Gedenkfeier, dass "es keine Tabus in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte" geben dürfe.
Hermann Frank Meyer hat zu dieser Aufarbeitung einen wichtigen Beitrag geleistet. Sein Engagement ist umso erstaunlicher, da Meyer kein Historiker, sondern ein ehemaliger Unternehmer ist. Seit Jahrzehnten erforscht er die Verbrechen der Wehrmacht in Südosteuropa. Ausgangspunkt für die Recherchen war die Suche nach seinem 1943 vermissten Vater. In Griechenland stieß er auf Spuren von deutschen Kriegsverbrechen. Das Thema, so sagt Meyer, habe ihn "nie mehr losgelassen". Gut so. Doch für Fachleute sind Meyers Ergebnisse nicht überraschend. Die Wehrmacht diente einem verbrecherischen Regime, das einen verbrecherischen Krieg führte. Nicht jeder Soldat war an Erschießungen und Übergriffen beteiligt, aber viele. Vor allem in Partisanenkriegsgebieten, sei es in Russland, in der Ukraine oder auf dem Balkan, waren Geiselerschießungen, Misshandlungen und das Niederbrennen von Dörfern üblich. Daran waren Waffen-SS-Divisionen ebenso beteiligt wie reguläre Wehrmachtseinheiten. Die Edelweiß-Division war nur eine von ihnen.
Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg.
Ch. Links Verlag, Berlin 2008; 789 Seiten, 34,90 ¤