PREUSSEN
Die Geschichte einer Großmacht - von den Ordensrittern bis zum Jahr 1947
Preußen, seit 1947 von der politischen Landkarte verschwunden, beschäftigt bis heute Menschen innerhalb und außerhalb Deutschlands. Bester Beweis dafür ist die sachliche und Klischees abbauende Arbeit des australischen Historikers Clark "Preußen - Aufstieg und Niedergang 1600-1947". Und das Interesse an Preußen ist keineswegs nur nostalgische Folklore - etwa wenn deutsche und polnische Traditionsvereine am 12. August 2009 den 250. Jahrestag der Schlacht von Kunersdorf nachspielen -, sondern es ist die bis heute ernsthaft geführte Diskussion über die kontroversen Aspekte dieses Staates. Auf der einen Seite die Prägung durch Militarismus, Untertanengeist und Junkertum. Auf der anderen Seite die berühmten preußischen Tugenden, die keinesfalls als so genannte Sekundärtugenden abgewertet werden können: Sie finden im Widerstand des 20. Juli 1944 ihre ethisch-moralische Rechtfertigung. "Hätte es diesen Kampf nicht gegeben, wäre das Urteil der Nachwelt über Preußen wohl ein anderes: ein ganz und gar negatives", heißt es in dem von Stephan Burgdorff, Norbert F. Plötzl, Klaus Wiegrefe herausgegebenen Sammelband über "Die unbekannte Großmacht".
"Spiegel"-Redakteure, der Schriftsteller Günter de Bruyn und namhafte Historiker wie Heinrich August Winkler und der Australier Clark versuchen, in 29 Beiträgen das widersprüchliche, vielseitige und auch unbekannte Bild dieses untergegangenen Staates zu beschreiben. Er ist eben nicht nur "seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland" gewesen, wie es in der Begründung der Alliierten vom 25. Februar 1947 zur Auflösung des Staates heißt. Legenden sind zählebig, und deshalb muss begrüßt werden, dass auch für den Nichtfachmann ein Band vorgelegt wird, der in verständlicher Sprache unterschiedliche Sachverhalte und Ansichten darstellt. Man denke nur an die bis heute immer wieder gehörte unselige Traditionslinie, die von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck unmittelbar zu Hitler geführt wird.
Die einzelnen Beiträge bieten zusammengefasst einen Aufriss preußischer Geschichte von den Ordensrittern und der Belehnung der Hohenzollern mit der Mark Brandenburg bis 1947. Die Texte lassen sich aber auch unabhängig voneinander mit Gewinn lesen. So wird König Friedrich I., der sich selbst 1701 in Königsberg zum König in Preußen krönte, nicht als prunksüchtiger Verschwender dargestellt, wie er gemeinhin bis heute bezeichnet wird. Vielmehr gewann unter diesem Monarchen Brandenburg-Preußen auf den Gebieten der Wissenschaftsförderung und Kunstpflege eine Spitzenstellung in Europa - eine Tatsache, die wenig bekannt ist.
Ein anderes Kapitel behandelt die preußischen Reformer Stein, Hardenberg , Humboldt, Scharnhorst und Gneisenau. Die Gründung der Berliner Universität - heute Humboldt-Universität - Bauernbefreiung, Städteordnung und Beginn der Industrialisierung in Oberschlesien und im Ruhrgebiet werden ebenfalls thematisiert; und daneben Kant, Fichte und Hegel, die das intellektuelle Klima des Landes prägten. Der märkische Schriftsteller Günter de Bruyn beschreibt das Erblühen einer deutschen Literatur an der Schwelle zum 19.Jahrhundert,eine Entwicklung, die noch Friedrich der Große bis zu seinem Tode 1786 nicht wahrhaben wollte.
Das Kapitel über das Verhältnis Preußens zu Polen von der Zeit der Teilungen bis zum Versailler Vertrag hätte umfangreicher ausfallen dürfen, zumal im heutigen Polen große Territorien - Ost- und Westpreußen, Pommern, Ost-Brandenburg und Schlesien - des ehemaligen preußischen Staates liegen. Wie intensiv in Polen die Preußen-Debatte geführt wird, zeigt etwa der Band "Preußen. Erbe und Erinnerung" (2005) herausgegeben vom Deutschen Kulturforum östliches Europa.
Insgesamt ist es den Autoren jedoch gelungen, ein breit gefächertes Bild Preußens mit seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit darzustellen.
Preußen. Die unbekannte Großmacht.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008; 319 S., 19,95 ¤