KLIMASCHUTZ IM VERKEHR
Grüne und Linke fordern strenge Grenzwerte. Die Koalition will die Autofahrer nicht verprellen
Viele Menschen denken in diesen Tagen weniger über Umweltschutz nach als über ihren Geldbeutel." Die CDU-Bundestagsabgeordnete Patricia Lips sagte damit in der Parlamentsdebatte zum Klimaschutz im Verkehr am 30. Mai, was für die Bürger möglicherweise Priorität hat. Spritpreise über 1,50 Euro pro Liter, Diesel so teuer wie Benzin, da fällt es schwer, eine Reform der Kraftfahrzeugsteuer zu beschließen, die einen Anreiz zum Kauf energiesparender, abgasarmer Autos setzt. Die Reform, die Schwarz-Rot in ihren Koalitionsvertrag geschrieben und im vergangenen Sommer bei der Klausur in Meseberg bestätigt hatte, liegt erst mal auf Eis.
Lips und ihre SPD-Kollegin Ingrid Arndt-Brauer machten deutlich, woran das liegt. Die Kfz-Steuer würde die Besitzer älterer Autos verprellen, die sich aus finanziellen Gründen derzeit keinen umweltfreundlichen Neuwagen leisten können, selbst wenn der Steuersatz noch so attraktiv wäre. "Wir müssen aufpassen, dass wir die Menschen nicht verlieren auf ihrem Weg zum Umweltschutz." Anreize auf der einen und Strafandrohung oder Zwang auf der anderen Seite dürften nicht in eine Schieflage geraten. Es bleibe die Hoffnung, dass man sich in der Föderalismuskommission II darauf einigt, die bisher den Ländern zustehende Kfz-Steuer auf den Bund zu übertragen. Die Länder verlangen "Aufkommensneutralität", das heißt, unter dem Strich muss nach der Reform die gleiche Summe in die Länderkassen gespült werden wie vorher.
Auf der einen Seite potenzielle Neuwagenkäufer mit einem günstigen Steuersatz zu locken, auf der anderen aber diejenigen nicht zu belasten, die sich ein Ökoauto nicht leisten können, sei nicht möglich, wie Arndt-Brauer klarstellte. Aus ihrer Sicht gibt es noch die Chance, auf den Bundesrat Druck auszuüben, sich zu bewegen. Mitziehen müsse auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der der Reform im Kabinett nicht zugestimmt hatte. Einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/8538), die Kfz-Steuer nicht mehr am Hubraum, sondern nur noch am Kohlendioxidausstoß zu bemessen, überwies der Bundestag zur weiteren Beratung an den Finanzausschuss.
Die Grünen haben klare Vorstellungen: Dreckschleudern höher besteuern, saubere Fahrzeuge steuerlich entlasten. Autos, die bis zu 120 Gramm pro Kilometer ausstoßen, sollten vier Jahre steuerfrei bleiben. Ab 2012 solle der Grenzwert auf 100 Gramm und ab 2015 auf 80 Gramm gesenkt werden. Bei einem Ausstoß zwischen 121 und 140 Gramm will die Fraktion jedes Gramm mit 50 Cent besteuern, jeweils 20 weitere Gramm sollten mit dem jeweils doppelten Steuersatz belegt werden. Das würde bedeuten, dass jedes Gramm, das oberhalb von 220 Gramm pro Kilometer liegt, 16 Euro Steuer verursacht. Zugleich will die Fraktion für vor 2001 zugelassene Wagen die alte Besteuerung beibehalten.
In einem weiteren Antrag ( 16/9105) treten die Grünen dafür ein, dass EU-weit für Neufahrzeuge ein Grenzwert von 120 Gramm Kohlendioxidausstoß pro Kilometer festgelegt wird. Werden Grenzwerte überschritten, sollte die von der EU-Kommission geplante Strafabgabe deutlich höher ausfallen als eine Nachrüstung des Fahrzeugs kosten würde. Die Einführung solcher Strafzahlungen solle nicht wie von der Automobilindustrie gewünscht auf 2015 verschoben werden. Die Grenzwerte für die jeweiligen Fahrzeugtypen müssten darüber hinaus einen Anreiz bieten, leichtere Autos zu bauen. Schließlich solle die EU für das Jahr 2020 bereits jetzt einen verbindlichen Grenzwert von 80 Gramm festschreiben.
Diese Grenzwerte verlangt auch die Linksfraktion in einem Antrag ( 16/9307), den Kohlendioxidausstoß neuer Pkw zu begrenzen. Mindestens die Hälfte der Einnahmen aus Strafabgaben bei Emissionsüberschreitungen sollten in die Förderung von umweltfreundlicher und sozialgerechter Mobilität fließen.
Untätigkeit warf der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Hermann, der Bundesregierung vor. Sie verwechsele Klimaschutz mit "Lobbyarbeit für die Automobilindustrie", sagte Hermann. Kaum irgendwo klafften Anspruch und Wirklichkeit so auseinander wie in der Verkehrspolitik. Ein Ministerium blockiere das andere, und die Kanzlerin greife nicht durch. "Klimaschutz, der es allen recht machen will, kann nicht funktionieren", sagte der Grünen-Politiker in Richtung Große Koalition.
Auch den Bundestag selbst hat Hermann ins Visier genommen. Mit dem Grünen-Antrag ( 16/9009), für die Fahrbereitschaft des Parlaments auch Wagen der Kompaktklasse oder einer niedrigeren Klasse anzuschaffen und dafür zu sorgen, dass die Fahrzeuge sofort einen durchschnittlichen Kohlendioxidausstoß von 140 Gramm pro Kilometer einhalten, wird sich demnächst der Ältestenrat des Bundestages befassen.
Die Autos müssen langsamer, leichter, sparsamer und klimaschonender werden, forderte Lutz Heilmann von der Linksfraktion. Er warf der Bundesregierung vor, sich gegen die EU-Verordnung zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Pkw aufzulehnen. Dem Argument, die deutsche Autoindustrie gebe 1,4 Millionen Menschen Arbeit, hielt der Linken-Politiker entgegen, dass an diesen Arbeitsplätzen auch kleinere Autos gebaut werden könnten. Das Klimapaket der Bundesregierung werde zu einem "Klimapäckchen". 60 Prozent der Neuzulassungen seien Firmenwagen. Firmen könnten ihre Kfz-Steueraufwendungen steuerlich absetzen. Die Abzugsfähigkeit der Aufwendugen für Firmenwagen sollte daher begrenzt werden, empfahl Heilmann. Barbara Höll (Linke) kritisierte die Autoindustrie für ihre nicht eingehaltene Selbstverpflichtung zur Begrenzung des Treibhausgasausstoßes. "Wir brauchen verbindliche Regelungen", sagte sie.
"Mit Fahrradfahren und Laufen werden wir das Klima nicht retten", konterte der umweltpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kauch, die Initiativen der Grünen. Vielmehr müsse man auf Innovation und auf alternative Antriebstechnologien setzen. Auch die Biokraftstoffe blieben eine Option für mehr Klimaschutz im Verkehr. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen habe vorgeschlagen, den Luft- und Straßenverkehr in den EU-Emissionshandel mit Treibhausgasen einzubeziehen, so Kauch, doch die Bundesregierung halte dies für "viel zu bürokratisch". Kauchs Fraktionskollege Patrick Döring erinnerte daran, dass im Spritpreis von 1,50 Euro pro Liter ein staatlich festgesetzter Anteil von 90 Cent enthalten sei. Jeder ausgestoßenen Tonne Kohlendioxid stünden Steuereinnahmen von 240 Euro gegenüber. Kein Sektor bringe so viele Steuermittel auf wie der Straßenverkehr.
Michael Müller (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, räumte ein, dass man beim Klimaschutz viel Zeit verloren habe. Zur Forderung der Grünen nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen sagte Müller: "Wie können wir glaubwürdig sein, wenn es nur drei Länder in der Welt gibt, die kein Tempolimit haben." Dieses brächte eine Entlastung beim Kohlendioxidausstoß um vier Millionen Tonnen. Beim Klimawandel komme es auch auf die Vorbildfunktion an.
Der SPD-Politiker schränkte eine Aussage des CDU-Abgeordneten Jens Koeppen ein, der gesagt hatte, neben dem Ökologischen dürfe man auch das Wirtschaftliche und das Soziale nicht vergessen. Man wolle in wirtschaftlicher Hinsicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilbauer erhalten und damit auch die Arbeitsplätze, und in sozialer Hinsicht "massive finanzielle Belastungen" für die Bürger vermeiden, so Koeppen. Müller kommentierte dies dahingehend, dass das Ökologische ein limitierender Faktor sei. Das Wirtschaftliche und das Soziale müssten sich also an der Begrenztheit der Natur orientieren.
Koeppens Fraktionskollege Andreas Scheuer (CSU) störte an den Anträgen der Grünen, dass dort die französischen und italienischen Kleinwagenhersteller hervorgehoben würden. Dies schade dem Autostandort Deutschland. Deutsche Technologie und Innovation seien weltweit geschätzt. Im Übrigen dürfe die Mobilität nicht zur "sozialen Frage der Zukunft" werden. "Wir brauchen Mobilität - die Freiheit, Arbeit annehmen zu können", sagte Scheuer.
"Die deutsche Industrie muss Gas geben, wenn sie im Innovationsrennen mithalten will", mahnte Martin Burkert von der SPD-Fraktion. Langfristig müsse eine Halbierung des Verbrauchs erreicht werden. Für umweltfreundliche und energieeffiziente Fahrzeuge brauche es Anreize sowohl bei den Käufern als auch bei den Autobauern, um in effiziente Technologien zu investieren, sagte Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD). Auch eine Verbrauchskennzeichnung für Autos sei erforderlich. "Mobilität muss bezahlbar bleiben", forderte sie.
Auf Empfehlung des Verkehrsausschusses ( 16/9119) lehnte der Bundestag einen älteren Antrag der Grünen ( 16/5967) ab, der ein Bündel von Vorschlägen zur Verbesserung des Klimaschutzes im Luftverkehr enthielt, vor allem die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel mit Treibhausgaszertifikaten. Was Alternativen zu Kerosin angehe, gebe es "gute Signale von Boeing und Airbus", stellte Christian Carstensen (SPD) fest.