moderne piraten
Dank stärkerer Kontrollen nimmt die Zahl der Überfälle in Südostasien ab. Vor den Küsten Ostafrikas werden sie dafür häufiger und brutaler
Sie kommen meistens nachts. Mit Maschinenpistolen bewaffnet klettern sie an Bord und stehlen, was sie kriegen können. Oder sie nehmen die Besatzung als Geiseln, um Lösegeld zu erpressen. 263 Fälle von Piraterie wurden im vergangenen Jahr vom International Maritime Bureau (IMB) registriert. Erstmals seit fünf Jahren steigt die Zahl wieder - 2007 um zehn Prozent und im ersten Quartal 2008 um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Dunkelziffer ist sogar noch weit höher, sagt der Leiter des IMB Piracy Reporting Centre Noel Choong in Kuala Lumpur: "Mehr als die Hälfte aller Fälle werden nicht gemeldet." Die Eigentümer hätten Sorge, dass ihre Schiffe für Untersuchungen festgehalten würden oder dass die Veröffentlichung des Überfalls ihrem Ruf schaden würde.
Berüchtigtster Piraten-Hotspot ist die Straße von Malakka zwischen Malaysia und Indonesien. Sie ist eine der meist befahrenen Wasserstraßen der Welt und ideal für Piraten, weil sie sich zwischen den Tausenden kleinen Inseln und Mangroven verstecken können. Der britische Versicherungsbörse Lloyd's stufte die Region zeitweilig sogar als Hochrisikozone ein. Aber inzwischen patrollieren die Anrainer Malaysia, Indonesien und Singapur so stark, dass 2007 nur noch sieben Angriffe gemeldet wurden, in diesem Jahr bisher gar keiner. Das sei allerdings kein Grund für Nachlässigkeit, sagt Choong: "Sobald weniger patrolliert wird, gibt es wieder mehr Angriffe."
Auch in den anderen Gewässern rund um Indonesien hat die Piraterie abgenommen. Von 2003 bis 2007 ist die Zahl der Fälle von 121 auf 43 gesunken. Dort gebe es jetzt sowohl auf See, als auch an Land mehr Kontrollen, erklärt Piraterie-Experte Eric Frecon vom Institute for Defence and Strategic Studies in Singapur. Er hat während seiner Feldforschung in Malaysia und Indonesien viele Piraten kennengelernt. "Die sind nicht wie Johnny Depp in ,Fluch der Karibik'. Sie sind jung, arm und haben nichts zu tun. Außerdem sind sie zunehmend verzweifelt." Insbesondere, wenn sie - wie auf der Insel Batam - überall die reichen Geschäftsleute aus dem nahegelegenen Singapur sehen. Häufig trinken sie sich erst Mut an, bevor sie sich mit Messern bewaffnen und in ihre traditionellen Holzboote steigen. Meistens haben sie es auf das Geld an Bord abgesehen.
Weiter nördlich arbeiten die Piraten professioneller. Sie sind mit Maschinengewehren und sogar Panzerfäusten ausgerüstet und zunehmend darauf aus, die Bordbesatzung zu entführen, um Lösegeld zu erpressen. Die Panzerfäuste würden sie allerdings nicht benutzen, berichtet Noel Choong - im Gegensatz zu den Piraten in Afrika. Die schleichen sich nicht heimlich an Bord, sondern beschießen das Schiff, bis es stoppt. Mittlerweile nutzen sie auch nicht mehr nur Speedboote, sondern setzen immer häufiger Mutterschiffe ein, die sie auf Hohe See bringen. So sind sie nicht mehr auf Küstennähe beschränkt.
Besonders besorgniserregend ist die Sicherheitslage vor Nigeria und Somalia. Dort gab es im vergangenen Jahr zusammen 73 Angriffe, Tendenz steigend. Das haben auch schon deutsche Reedereien zu spüren bekommen: Anfang 2007 wurde die Besatzung eines Schiffs der Duisburger Seereederei Baco-Liner für dreieinhalb Wochen in Nigeria gefangen gehalten. Die Entführer gehörten zum Movement for the Emancipation of the Niger Delta. "Wir hatten nie Kontakt zu den Entführern, das hat die nigerianische Regierung gemacht. Wir wissen aber durch offene Briefe im Internet, dass politische Forderungen gestellt wurden", erzählt Reederei-Geschäftsführer Klaus Steffen.
Dagegen geht es in Somalia, wo Ende Mai die Besatzung des Lübecker Frachters MV Lehmann Timber und vergangene Woche eine deutsch-französische Familie von ihrer Yacht entführt wurden, nur ums Geld. "Die Piraten wollen das Schiff und die Crew, die Ladung interessiert sie nicht", sagt Noel Choong vom Piracy Reporting Centre. Die Lösegeldforderungen seien in Millionenhöhe. "Es gibt keine Staatsgewalt in Somalia. Die Piraterie ist Teil der allgemein hohen Kriminalität", erklärt Afrika-Expertin Kerstin Petretto von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zunehmend würden fremde Fischerboote angegriffen, um die somalischen Fischgründe zu verteidigen. Meistens handele es sich aber um Raubüberfälle. Auch UN-Hilfslieferungen wurden schon attackiert und werden deshalb seit Ende 2007 von Kriegsschiffen begleitet.
Das International Maritime Bureau appelliert an die Regierungen, gegen Piraten vorzugehen. Schließlich passieren die meisten Angriffe im Hoheitsgewässer eines Staates. Aber nicht immer haben die Länder die Motivation oder die Mittel. Im Falle Somalias hat jetzt der Weltsicherheitsrat mit einer Resolution eingegriffen: In den kommenden sechs Monaten dürfen Schiffe von Staaten, die mit der Übergangsregierung zusammenarbeiten, Piraten in somalische Hoheitsgewässer verfolgen und dort "alle notwendigen Mittel" gegen sie anwenden.
In internationalen Gewässern darf jeder Staat ein Piratenschiff oder ein Schiff in der Gewalt von Piraten angreifen, die Personen festnehmen und den Besitz beschlagnahmen. Das regelt das UN-Seerechtsübereinkommen. Das Problem: Die deutsche Marine, die im Rahmen der Operation Enduring Freedom vor Somalia kreuzt, darf das nicht. Grund sind verfassungsrechtliche Bedenken. "Die Marine darf nur im Rahmen der Nothilfe eingreifen, wenn gerade jemand angegriffen wird", erklärt Thomas Kossendey, CDU-Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Sie dürfe die Piraten aber nicht verfolgen. Ihm seien mehrere Fälle bekannt, bei denen die Deutschen in der Nähe eines Angriffs waren und nicht helfen durften. Um das zu ändern, schlägt Kossendey eine Änderung des Grundgesetzes Artikel 87a vor. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Rainer Stinner dagegen meint, eine Grundgesetzänderung sei unnötig: "Einsätze gegen Piraten sind auch verfassungsrechtlich bereits durch das Seerechtsübereinkommen abgedeckt, das wir 1994 ratifiziert haben."
Von so schwerwiegenden Fällen wie der Entführung einer Mannschaft sind deutsche Reedereien laut Max Johns vom Verband Deutscher Reeder selten betroffen. Dem IMB-Bericht zufolge entfielen vergangenes Jahr 43 der gemeldeten Angriffe auf Schiffe unter deutschem Management - womit es das am meisten betroffene Land ist. "Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Deutschen auch sehr kleine Vorkommnisse melden", sagt Johns. "Fälle mit größerem Schaden gibt es nur ein oder zwei pro Jahr." So liegt Schätzungen zufolge der durchschnittliche Schaden bei 50.000 Euro. Um sich vor Angriffen zu schützen, rät der Reedereiverband, kritische Gebiete zu umfahren oder schnell zu passieren, alles abzuschließen und das Schiff nachts zu beleuchten. "Schon diese kleinen Maßnahmen helfen", sagt Johns. Auf keinen Fall solle man sich bewaffnen, weil die Situation dann eskalieren könne. Das gelte auch für Schallkanonen: "Sich mit etwas an Deck zu stellen, das wie eine große Kanone aussieht, ist halsbrecherisch." Die Reederei Baco-Liner sorgt seit der Entführung trotzdem lieber vor: Die Schiffe fahren zwar immer noch nach Nigeria, aber sie wurden mit Stacheldraht aufgerüstet und haben sechs bis acht Soldaten von der nigerianischen Marine an Bord.
Auch Besitzer von Yachten investieren inzwischen in ihren Schutz. Dabei hilft ihnen zum Beispiel Wilhelm Probst, der 17 Jahre als Kampfschwimmer bei der Marine war und nun Yachtbesitzer zum Thema Sicherheit berät. "Yachten sind eine leichte Beute, denn sie haben keine so hohe Bordwand wie Containerschiffe. Da helfen nur Wachen", erklärt er. Mittlerweile wird sogar beim Design aufgepasst, wie Dieter Berg von der Münchner Rück beobachtet: "Der Trend geht weg von schneeweißen Yachten hin zu dunkleren, die aus der Ferne Kriegsschiffen ähneln."