Nach der Opposition scharrt nun auch die SPD-Fraktion in Sachen gesundheitlicher Prävention mit den Füßen. Anlässlich einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am 23. Juni zu Oppositionsanträgen für ein Präventionsgesetz appellierten die beiden SPD-Gesundheitsexpertinnen Carola Reimann und Mechthild Rawert an die Unions-Fraktion, ein solches Gesetz nicht weiter zu blockieren.
Rückblende: Die Schaffung eines eigenständigen Präventionsgesetzes steht als Ziel im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wollte ursprünglich eine Bundesstiftung etablieren, die bundesweite Präventionsziele formulieren und das Bewusstsein in der Bevölkerung für Bewegung und gute Ernährung schaffen sollte. Der Referentenentwurf aus ihrem Haus sah dann die Schaffung eines Nationalen Präventionsrates vor. Die Finanzierung sollte durch die gesetzliche und privaten Krankenkassen, die gesetzliche Renten- und Unfallversicherung sowie die Pflegeversicherung erfolgen. Geplant waren auch Präventionsräte auf Landesebene. Aber die Pläne sind in der Großen Koalition ohne Mehrheit. Die Union lehnt insbesondere die finanzielle Ausstattung des Rates ab und will die Hauptverantwortung für die Finanzierung bei den Kassen belassen.
In der Anhörung sprach sich nun die Mehrheit der Experten dafür aus, die Prävention auf eine breitere Finanzierungsbasis zu stellen. Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen machten sich dafür stark, dass sich an der Finanzierung auch die öffentliche Hand beteiligt. Bei der Prävention handele es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein von den Sozialversicherungsträgern übernommen werden könne, sagte Bernd Metzinger, Gesundheitswissenschaftler beim IKK-Bundesverband in Berlin. Auch der Experte der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Gert Nachtigal, plädierte für eine Finanzierung aus Steuermitteln. Der Sachverständige des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Knut Lambertin, betonte, die gesetzliche Krankenversicherung allein sei mit der Finanzierung überfordert. Alle Sicherungssysteme müssten beteiligt werden.
Reimann und Rawert werteten die Anhörung als Rückenwind für ein Präventionsgesetz. Die Union sei "in ihrer Verweigerungshaltung mittlerweile völlig isoliert", formulierten sie.
Allerdings gab es unter den Sachverständigen in der Frage der Organisation Differenzen. Die Kassen wandten sich gegen den Aufbau neuer Strukturen, etwa der Präventionsräte. Eine bessere Koordination erfordere "nicht ein völlig neues System" und eine "neue Bürokratie", sagte IKK-Vertreter Metzinger. Die Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes, Ulrike von Haldenwang, kritisierte hingegen, viele Ressourcen in der Prävention würden "verschleudert", da die Vernetzung auf der lokalen Ebene fehle. Raimund Geene, Professor an der Hochschule Magdeburg/Stendal, betonte, die bisherige Koordination sei "absolut unzulänglich".
Auch die Oppositionsfraktionen haben unterschiedliche Ideen zu einem Präventionsgesetz. Aus Sicht der FDP ist die Prävention eine individuelle Herausforderung, wie aus ihrem Antrag ( 16/8751) hervorgeht. Es sei aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Gesundheitsförderung zu stärken. Die Finanzierung dürfe deshalb nicht allein auf die Sozialversicherung zentriert werden. Die Linksfraktion verlangt in ihrem Antrag ( 16/7471), eine Koordinierungs- und Entscheidungsstelle auf Bundesebene zu schaffen, die über eigene finanzielle Mittel verfügt. Zum Start seien aus dem Bundeshaushalt in den nächsten vier Jahren jeweils 1 Milliarde Euro bereitzustellen. Die Grünen setzen sich in ihrem Antrag ( 16/7284) dafür ein, dass sich an der Finanzierung Bund, Länder und Kommunen sowie alle Sozialversicherungszweige und die private Kranken- und Pflegeversicherung beteiligen. In der Startphase sollten jährlich 500 Millionen Euro verausgabt werden.