USA
Der Publizist Robert Kagan schreibt die Sonderrolle der letzten Weltmacht fort - unbeeindruckt vom Irak-Desaster
Der letzte Falke flattert wieder. Während in Washington die Regierung Bush durch ihre verbleibenden Amtshandlungen stolpert, schwingt sich dieser Tage einer der prominentesten Vordenker neokonservativer Politik noch einmal hoch empor in luftigste Diskurszonen: der amerikanische Publizist und Politikberater Robert Kagan. Bereits 2003 sorgte er für immensen Wirbel. Unter dem Titel "Macht und Ohnmacht" legte er einen Essay vor, der besonders unter vorgeblich friedliebenden Alt-Europäern wie eine Bombe einschlagen sollte. Mitten in den Diskussionen um das Für und Wider eines Präventivschlags gegen den Irak behauptete der Mitbegründer des Thinktanks "Project for the New American Century", dass die Welt nicht weniger als ein Dschungel sei. Nicht die Stärke des Rechts sei in ihr das Maß der Dinge; was zähle sei das Recht der Stärke. Mochte man im posthistorisch gestimmten Europa auch auf den "Ewigen Frieden" warten, Kagans Amerika wollte im kriegerischen Diesseits bleiben. Die Alte Welt, so das Fazit von dieser an Thomas Hobbes geschulten Streitschrift, sei von der Venus, Amerika aber käme direkt vom Mars.
Viel ist seither geschehen. Während ein als Tiger gestarteter Präsident längst wieder als lahme Ente gelandet ist, versandeten die so genannten Neocons irgendwo im irakischen Wüstenschutt. Ob Francis Fukuyama oder David Frum: Zahlreiche Pioniere des Achsenkampfes wider das Böse haben längst wieder ihre Fahnen eingerollt. Einzig Robert Kagan dreht weiter seine Kreise. Nun hat der passionierte Konservative ein neues Buch geschrieben. Unter dem Titel Die "Demokratie und ihre Feinde" präsentiert er darin noch einmal all die Dinge, die der konservativen Revolution Amerikas seit Jahren auf der Seele brennen.
Wer indes meint, der einstige Einheizer des neuen amerikanischen Unilateralismus sei durch das Irak-Schlammassel milde oder müde geworden, muss sich mit diesem Essay getäuscht sehen: Noch immer sieht sich Kagan inmitten einer Welt von Feinden. Ob in Russland, China oder im Iran: Überall macht der republikanische Intellektuelle machthungrige Autokraten aus. Diese unterdrückten nicht nur die eigene Bevölkerung oder suchten im globalen Wettkampf ihren Platz an der Sonne, vor allem stemmten sie sich gemeinsam gegen die Errungenschaften des westlichen Liberalismus. Kagan ist daher zunehmend beunruhigt: "Hat in einer Welt, die an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter der Turbulenzen steht vielleicht nicht eine mit Fehlern behaftete demokratische Supermacht eine wichtige, ja unverzichtbare Aufgabe zu erfüllen?"
Man möchte dem Autor zustimmen. Die wachsenden Probleme des 21. Jahrhunderts erfordern tatsächlich ein beherztes Handeln der letzten verbleibenden Weltmacht. Ob beim Klimawandel, der Dollarschwäche oder der Umsetzung der UN-Milenniumsziele: Überall könnten die USA Schrittmacher auf dem Weg in eine bessere Zukunft sein. Doch wenn der prominente Einflüsterer der Bush-Administration von Kraft und Führung spricht, dann meint er zumeist keine Macht mit Gestaltungswillen. Wie schon in seinem Bestseller "Macht und Ohnmacht" sieht der Sohn eines namhaften Alt- und Militärhistorikers mit Fokus auf das antike Griechenland die großen Mächte eingebunden in ein Kräfteparallelogramm. Nicht friedliche Koexistenz in einer multipolaren Welt stehen für ihn auf der Agenda der Gegenwart, es geht um das Ringen von Ideologien - es geht um Abschreckung und um Macht, die einzig für sich selber steht.
Doch bereits die Katastrophen des 20. Jahrhunderts haben gezeigt: die Welt ist nicht mehr die selbe, wie zu Zeiten der Diadochenkriege. Während Kagan im Subtext seines Buches unentwegt eine vorgeblich postmoderne Gesinnung Europas karikiert und dem Widererstarken nationalstaatlichen Denkens das Wort redet, übersieht er vor lauter Spott das Wesentliche: Postmoderne ist weniger eine intellektuelle Wochenend-Flachserei, Postmoderne ist die Beschreibung einer komplexen Wirklichkeit. So richtig es ist, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts Russland zu neuem Selbstbewusstsein gefunden hat und China eine angemessene Rolle in Asien sucht, so falsch wäre es, hieraus das Ende des Multilateralismus abzuleiten.
In einer Welt der knapperwerdenden Rohstoffe, der ökonomischen wie kommunikativen Vernetzungen und der ökologischen Bedrohungen ist niemand mehr eine Insel. Nicht zuletzt die von Michael Walzer und Herfried Münkler ausgemachten "Neuen Kriege" müssten selbst Neokonservative wie Kagan allmählich zu der Einsicht führen, dass die Sicherheitsarchitektur der Gegenwart nicht aus dicken Brettern gebohrt wird. Will die Menschheit die Herausforderungen der Zukunft meistern, dann hilft keine neue ideologische Spaltung. Noch aber hat Robert Kagan die Irak-Lektion nicht gelernt. Seine Visionen für Amerika führen die Supermacht nicht zurück an die Spitze sondern ins globale Abseits.
Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung?
Siedler Verlag, München 2008; 128 S., 16,95 ¤