Frankreich
Auf den Spuren von Nicolas Sarkozy
Im Büro an der Place Beauvau begegnen sie sich zum ersten Mal. Er hört ihr freundlich zu, und dann spürt sie sehr schnell Ungeduld. Er sagt, er habe verstanden; er fühle sich geehrt, dass sie ihn porträtieren wolle. Er sagt: "Mit einem Wort: Sie wollen dabei sein. Ich sage ja." Wer anders könnte es sein als Nicolas Sarkozy, der hier seine Gunst verschenkt, der damals noch im französischen Innenministerium saß, dann offizieller Kandidat der konservativ-gaullistischen UMP wurde, schließlich Frankreichs neuer Staatspräsident.
Seine Einwilligung galt freilich einer Frau. Es ist die Französin Yasmina Reza, die derzeit weltweit meistgespielte Theaterautorin, die Sarkozy fast ein Jahr lang, von Ende Juni 2006 bis Anfang Juni 2007, begleitet hat. Ob der Titel ihres gegenwärtigen Erfolgsstücks "Der Gott des Gemetzels" dieser - beinah - unpolitischen Dramatikerin auf die fast täglichen Begegnungen mit diesem dramatischen Politiker verweist? Das unter dem Titel "Frühmorgens, abends oder nachts" erschienene Buch, das die Aufzeichnungen und Reflexionen Rezas aus der genannten Zeit umfasst, gibt zumindest einen Hinweis auf den Gezeitenrhythmus einer derartig schaurig schönen Figur.
Es sind intime Blicke, durchwoben von großer Sprachkraft und Beobachtungsgabe, die die Umrisse eines fast mythischen Mannes erahnen lassen, werden doch neben den offiziellen Auftritten, den In- und Auslandsreisen auch Besprechungen im engsten Beraterkreis ebenso berichtet wie intime Gespräche unter vier Augen und weitere private Details.
Ein ungeschminktes Porträt hat Reza verfasst, das Brevier eines Präsidentschaftskandidaten, eine literarische Reportage, die diesen Mann bisweilen dichterisch kaum überraschend inszeniert: "Er marschiert auf und ab, die Zigarre in der Hand. Hinter ihm, im Bücherregal, steht ein großer, blau schillernder Band, die Titelseite nach vorn: Charles de Gaulle - Reden. Er öffnet das Fenster. Feuchte Nachtluft weht herein und facht das Feuer im Kamin an."
Yasmina Rezas Werk ist nicht zwangsläufig ein authentisches Wahlkampftagebuch, sondern eines, das eine heikle Balance, das Gesagte - flügelleicht - in der Schwebe hält: Zwischen vordergründigem Seidenglanz und hintergründiger Phantasterei. So heißt es, es gebe kein Vaterland außer dem des Vergessens und der Gleichgültigkeit. Und hinter den Bergen liege die Erinnerung an die Zeit der Wunder.
Frühmorgens, abends oder nachts.
Hanser Verlag, München 2008; 208 S., 17,90 ¤