Das politische Sommerloch ist auch nicht mehr das, was es mal war. In einer Zeit, als die Gehirne noch Urlaub machten, erheiterten uns Berichte aus dem sommerlich verschlafenen Bonn. Der Höhepunkt war sicher im Jahr 1993 erreicht, als der CSU-Abgeordnete Dionys Jobst sich wunderte, dass so viele Deutsche auf Mallorca Urlaub machen, als sei die Insel das 17. Bundesland. Die Schlagzeile war geboren und führte prompt zu diplomatischen Verwicklungen. Die Spanier wollten wissen, ob der Vorschlag mehr sei als ein Spaß. Das Eiland blieb jedoch bis heute spanisch und Jobst gelassen. Er sprach danach von einer "Mordsgaudi".
Unvergessen ist auch die Pizzasteuer, die auf den CDU-Landwirtschaftsexperten Gottfried Haschke zurückgeführt wird. Haschke hatte sich für die deutsche Küche eingesetzt und italienischen Gastwirten Sanktionen in Aussicht gestellt, falls sie nicht auch deutsche Gerichte anbieten würden. Daraus wurde die Pizzasteuer. Da Süßigkeiten nicht gesund sind, sprach sich die SPD-Abgeordnete Brigitte Adler für eine Besteuerung von verstecktem Zucker in Lebensmitteln aus. Die "Schokoladensteuer" war geboren. Ernstes gab es im Sommer nicht. Es war Urlaubszeit.
Alles Geschichte. Berlin kennt keine Ferien und kein Abschalten. Hier steht die Politik immer unter Hochdruck. Tägliche Meinungsumfragen sorgen für einen gleichmäßig hohen Adrenalinspiegel. Jeden Tag muss das Klima gerettet und die Energieversorgung (mal mit Atomstrom und mal ohne) gesichert werden.
Selbst die Fußball-Europameisterschaft verschaffte den Konsumenten nur kurze Verschnaufpausen von maximal 45 politikfreien Minuten. Schon in der Halbzeit signalisierte uns ein aufgeregter Reporter mit Mikrofon in der Hand und Reichstag im Hintergrund, dass in Berlin irgendeine Krise sei. Dabei war im Reichstag überhaupt niemand.