Verwandtenheirat
Nein zu sagen, fällt vielen schwer
In Europas Adelshäusern war sie lange Zeit Sitte - die Ehe unter Verwandten. In Deutschland ist sie heute eher die Seltenheit. Für viele Heiratswillige mit türkischem, marokkanischem oder auch tamilischem Hintergrund aber kommt noch immer der eigene Cousin oder die Cousine als Partner in Frage. Manche Experten schätzen, dass in deutschen Großstädten etwa 20 Prozent der türkischstämmigen Ehepaare auch biologisch miteinander verwandt sind.
Die medizinischen Folgen einer solchen Verbindung können jedoch erheblich sein: Das so genannte Basisrisiko, ein Kind mit Fehlbildungen oder Behinderungen zur Welt zu bringen, liegt bei nichtverwandten Paaren bei drei bis vier Prozent, bei Ehen zwischen Cousins und Cousinen ersten Grades verdoppelt sich dieser Wert auf circa sechs bis acht Prozent. "Das ist noch keine so deutliche Erhöhung", sagt Rolf-Dieter Wegener, Humangenetiker in einer Berliner Praxis für Pränataldiagnostik. "Das Risiko steigt aber erheblich, wenn es schon Erbkrankheiten in der Familie gibt."
Trotzdem wird über das Thema kaum gesprochen - Sexualität und alles, was damit zusammenhängt, wird in vielen Familien tabuisiert. Das erschwert auch die Arbeit der Experten, mehr Wissen über die Risiken zu vermitteln. Die türkischstämmige Sozialwissenschaftlerin Yasemin Yadigaroglu, die das Phänomen der Verwandtenehe untersucht hat, bekam sogar Drohanrufe und durfte in manchen türkischen Vereinen schließlich die Mitglieder nicht mehr befragen. "Dabei will ich nicht stigmatisieren, sondern aufklären", sagt sie und weist auch auf die sozialen Probleme solcher Verbindungen hin: kommt es zum Ehestreit oder gar zu einer Scheidung, steht der Frieden der gesamten Familien auf dem Spiel.
Yadigaroglu befragte 170 türkische Jugendliche - die Hälfte gab an, sie würden eine Ehe mit dem Cousin oder der Cousine eingehen, wenn es sich so ergäbe und die Familie das wollte, berichtet sie. "Nein zu sagen, fällt vielen schwer. Die Familienbande sind sehr wichtig, da will man nicht das Gesicht verlieren." Mit dem Internationalen Zentrum der Duisburger Volkshochschule hat Yadigaroglu die Kampagne "Verwandtenheirat - Nein, danke!" ins Leben gerufen. Aufklärung ist dringend nötig, das sehen auch die Ärzte so.