KONGO
Frauen und Mädchen sind der Gewalt im Osten des Landes schutzlos ausgeliefert
Die Männer in Uniform lauerten ihr auf, als sie im Wald nach Feuerholz suchte, um die kalte Nacht für ihre Kinder erträglicher zu machen. Marie (Name geändert), die vor den Kämpfen aus der Stadt Kiwanja geflohen war, wurde von den Männern gepackt, ein paar hundert Meter in den Wald verschleppt und dort mehrfach vergewaltigt. Die Täter ließen sie einfach liegen; eine Verfolgung müssen sie im unkontrollierten Ost-Kongo nicht befürchten - staatliche Ordnung gibt es hier nicht mehr.
"Im Ost-Kongo ist es derzeit gefährlicher, eine Frau zu sein als ein Soldat", sagt Elisabeth Roesch von der Hilfsorganisation Care bestürzt. 400 Vergewaltigungen pro Monat alleine in der ostkongolesischen Region Nord-Kivu hat sie in diesem Jahr gezählt. Das war, bevor die heftigen Gefechte zwischen den vom abtrünnigen General Laurent Nkunda angeführten Rebellen und der kongolesischen Armee und mit ihr verbündeten Milizen begonnen haben. "Vergewaltigungen werden gezielt als Waffe eingesetzt, um Terror zu verbreiten", weiß Roesch. "Deshalb ist die Zahl der sexuellen Misshandlungen in den vergangenen Wochen sicher noch einmal deutlich gestiegen." Hunderttausende haben sich in die Camps zurückgezogen, die die Provinzhauptstadt Goma wie ein Ring umziehen. Goma wird von einigen hundert UN-Soldaten bewacht und gilt als sicher. "Aber selbst in den Auffanglagern sind Frauen und Mädchen besonders gefährdet", erklärt Bob Kitchen, der im Osten Kongos für das Internationale Flüchtlingskomitee IRC arbeitet. "Vergewaltigungen, auch in Gruppen, sind ein alltäglicher Schrecken für sie." An 15.000 Familien verteilt seine Organisation derzeit Feuerholz, um Frauen vor dem zu schützen, was Marie passiert ist. Doch dass diese Aktion bei mehr als einer Viertelmillion neuer Flüchtlinge im Osten Kongos seit Jahresbeginn nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, weiß auch Kitchen.
Drei Wochen nach Beginn von Nkundas Offensive auf Goma wird in Nord-Kivu, wo die Menschen seit mehr als zehn Jahren keinen dauerhaften Frieden mehr erlebt haben, an mehreren Fronten zugleich gekämpft. Diplomaten sprechen von der Gefahr eines neuen "afrikanischen Weltkriegs" wie zwischen 1998 und 2003, als Armeen aus sieben Staaten im Ost-Kongo gekämpft haben. Seitdem, so die Schätzung, sind fünf Millionen Menschen im Osten Kongos Opfer der Kämpfe geworden. Die meisten sterben an normalerweise leicht behandelbaren Krankheiten oder an Unter- oder Mangelernährung. Frauen und Kinder sind besonders betroffen. Den Vertriebenen, von denen viele schon seit Jahren auf der Flucht sind, kann im derzeitigen Chaos besonders schwer geholfen werden. "Die Flüchtlinge sind ständig in Bewegung, wir wissen nicht, wo sie sich genau aufhalten", sagt Marcus Prior vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.
Doch selbst wenn man es wüsste: Die besonders bedürftige Region nördlich von Goma kann wegen der anhaltenden Gefechte derzeit ohnehin nicht mit Hilfsgütern beliefert werden. Die Ärzte dort berichten vom Ausbruch von Epidemien, vor allem Cholera und Masern. Die Erkrankungen treffen besonders die an Abwehrkräften armen Kinder - und damit unmittelbar die Frauen, die im Kongo wie fast überall für die Versorgung der Familie zuständig sind. Care-Mitarbeiterin Roesch hat bei ihren Besuchen von Flüchtlingslagern in den vergangenen Tagen immer das gleiche beobachtet: "Es ist egal wie schlimm zugerichtet die Frauen sind, alle wollen zuerst Hilfe für ihre Kinder, bevor sie irgendetwas selbst annehmen."
Jaya Murthy vom UN-Kinderhilfswerk Unicef warnt: "Kinder auf der Flucht sind nicht nur anfälliger für Krankheiten, sie werden auch besonders leicht Opfer von Misshandlungen." Sechzig Prozent der Vertriebenen, schätzt Murthy, sind Kinder. 2.000 bis 3.000 von ihnen kämpfen schon jetzt in einer der bewaffneten Gruppen, ihre Zahl steigt. "Seit die Kämpfe begonnen haben, gibt es immer mehr Zwangsrekrutierungen", hat Ishbel Matheson von der britischen Hilfsorganisation "Save the Children" beobachtet. "Jungen werden zum Dienst an der Waffe gezwungen, und schon sechsjährige Mädchen müssen verdienten Soldaten als "Frauen" im Haushalt und im Bett gefällig sein." Traumatisiert seien die Kinder danach - emotional und physisch gebrochen. "Für die Opfer ist das ein Alptraum, der kein Ende nimmt." Nicht umsonst nennt die Organisation die Nord-Kivu-Region den derzeit schlimmsten Ort, um ein Kind zu sein.
Für Mädchen und Frauen, die Opfer von Vergewaltigung und Missbrauch geworden sind, gibt es praktisch keine Unterstützung. Das Thema ist so stark tabuisiert, dass Opfer mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft oder sogar der Vertreibung aus ihrer Familie rechnen müssen. Oft auf brutalste Weise vergewaltigte Frauen, deren körperliche Wunden allein kaum behandelbar sind, ziehen sich deshalb meist in sich zurück und bleiben mit ihrem Leid allein. Ein spezielles Frauenzentrum, das Care in Birambizo nordwestlich von Goma eröffnet hat, soll nicht nur medizinische und psychologische Hilfe bieten. "Die Frauen sollen zudem Möglichkeiten eröffnet bekommen, auch wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen", so Elisabeth Roesch. So soll Selbstbewusstsein aufgebaut werden.
Doch für diejenigen, die derzeit in den Wäldern Nord-Kivus auf der Flucht sind, ist das noch Zukunftsmusik. "Erfahrungsgemäß kommen Frauen nur in den Kampfpausen, in den vergangenen Wochen aber wurde rund um Birambizo geschossen." Bis dahin bleibt den Mitarbeitern von Hilfsorganisationen wie Care nichts anderes übrig, als in den Lagern von Zelt zu Zelt zu gehen und den wenigen zu helfen, die sich jetzt schon helfen lassen. Ein Ende der Kämpfe jedenfalls ist derzeit nicht abzusehen.