Streitschrift
Henryk M. Broder über falsche Toleranz
Was haben Irans Präsident Mahmoud Ahmadinedschad und ein verurteilter Kindermörder, der Prozesskostenhilfe bekommt, gemeinsam? Und was verbindet Peter Ustinov und Jürgen Todenhöfer? Die Antwort liefert der Publizist Henryk M. Broder in seiner "Kritik der reinen Tolenranz" auf seine ihm ganz eigene und unverwechselbare Art: "Oft polemisch und ohne Rücksicht auf political correctness, aber immer unabhängig und überraschend." So charakterisierte Helmut Markwort, Chefredakteur des "Focus", in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises an Broder.
"Polemisch und ohne Rücksicht auf politicical correctness" ist ohne Zweifel auch sein neues Buch. Aber überraschend wohl kaum. Seine These hat Broder bereits in seiner Streitschrift "Hurra, wir kapitulieren" und in diversen Fernsehtalkshows verbreitet. Und die lautet: Der Gutmensch im Westen, wenn nicht gar der Westen insgesamt, zeigt deutlich zu viel Toleranz. Zu viel Toleranz gegenüber jenen, die selbst intolerant sind, gegenüber Kriminellen, Terroristen, Fundamentalisten und Antisemiten. Broder wünscht sich lapidar mehr Härte.
Mit Gutmenschen meint er Leute wie Ustinov, wenn dieser sagt, dass die Bekämpfung von Terroristen Sache der Polizei und nicht des Militärs sei, Leute wie Todenhöfer, wenn dieser zwischen Terroristen und Widerstandskämpfern im Irak gegen die amerikanische Besatzung unterscheiden möchte. Gutmenschen sind all jene, die entweder einfach nur naiv oder vorsätzlich zu viel Toleranz all denjenigen entgegenbringen, die die Werte des Westens bedrohen.
Broder hat ohne jeden Zweifel Recht, wenn er schreibt, dass Toleranz keinen Wert an sich darstellt, dass es immer noch darauf ankommt, wem und was eine Gesellschaft tolerieren soll. Und ja, Terrorismus oder Ehremorde sind definitiv nicht tolerierbar. Ob die von Broder angeführten zahlreichen Einzelfälle einer falsch verstandenen Toleranz jedoch die Realität im Ganzen wiedergeben, ist mehr als fraglich.
Die Lektüre macht vor allem eines deutlich: letztlich geht es Broder - einmal mehr - in erster Linie um die Verfehlungen in der islamischen Welt, an der Aufklärung, Reformation und Revolutionen vorbeigegangen seien: "Es gibt im Islam keinen Luther und keinen Voltaire, (...) keinen Kant (...)."
Ja, die westliche Welt muss ihre Werte verteidigen. Aber wo waren Luther, Kant und Voltaire in Abu Ghraib? Oder war das auch nur ein Einzelfall?
Kritik der reinen Toleranz.
wjs Verlag, Berlin 2008; 214 S., 18 ¤