Israel
Avi Primor plädiert für territoriale Zugeständnisse an die Palästinenser - und fordert eine Schutztruppe der EU
Nichts scheint gegenwärtig wieder einmal so verfahren zu sein wie die politische Situation im Nahen Osten. Ein Friede zwischen Israelis und Palästinensern liegt in weiter Ferne.
Wer den ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, Avi Primor, kennt, weiß, dass er in der Rolle des kenntnisreichen Analysten und des eloquenten Diplomaten brilliert. Sein neustes Buch legt davon beredtes Zeugnis ab. Seine prägnanten Darlegungen zur historischen Entstehung des islamischen Fundamentalismus versetzen den Leser in die Lage, die Entwicklungen in der muslimischen Welt nachzuvollziehen.
So wie der 11. September 2001 ein signifikanter Einschnitt für die Weltpolitik war, so ist und bleibt der inzwischen über 40 Jahre zurückliegende Sechs-Tage-Krieg von 1967 für das militärisch siegreiche Israel ein fundamentaler Einschnitt. Seit Juni 1967 lastet auf Israel die Bürde der Besatzung weiter arabischer Territorien, namentlich des Westjordanlandes, der Golan-Höhen und des Ostteils von Jerusalem.
Zahlreiche Friedensbemühungen, die zu einer endgültigen Regelung der territorialen Streitigkeiten zwischen Israel und seinen palästinensischen Nachbarn führen sollten, hat es gegeben. Primor weist auch darauf hin, dass unmittelbar nach dem Eintritt der Waffenruhe am 12. Juni 1967 die israelische Regierung bekannt gab, "die eroberten Gebiete lediglich als Unterpfand für den Frieden halten zu wollen".
In der Folge der israelischen Okkupation entstand dann jedoch die Siedlungsbewegung, die bis auf den heutigen Tag eine Regelung zwischen dem Staat Israel und seinen arabischen Nachbarn behindert. Primor unterschätzt keineswegs die von dort kommenden Widerstände, warnt aber vor einer Dramatisierung ihres tatsächlichen politischen Einflusses. Nach seiner Auffassung haben die territorialen Rückzüge Israels - aus dem Sinai in den 80er-Jahren, aus dem Gaza-Streifen im Jahr 2005 - deutlich gemacht, dass territoriale Regelungen, die von der Mehrheit der Israelis mitgetragen werden, politisch durchaus umsetzbar sind.
Was folgt daraus für die Gegenwart? Die Forderung, die unterschiedlichen "Friedens-entwürfe" vom "Clinton-Parameter" (2000) über den "Saudi-Plan" (2002), der wieder in Mode zu kommen scheint, bis dem "Fahrplan des Nahost-Quartetts" (2003) auf ihre Gemeinsamkeiten hin zu überprüfen! "Es geht fast immer um eine Trennung zwi-schen Israelis und Palästinensern, das heißt um ein Ende der Besatzung, Räumung der Siedlungen und Festlegung einer Grenze zwischen beiden Staaten, die auf der demografischen Realität beruht", fasst Primor zusammen. Pure Fantasie? Oder doch eine Lösungsmöglichkeit, die für beide Seiten tragbar ist?
Was soll mit der Hamas geschehen - Ausgrenzung oder Teilhabe am politischen Prozess? Primor führt aus: "Die Hamas ist zweifellos eine fundamentalistische, terroristische Bewegung, die sich ganz offen Israels Vernichtung zum Ziel gesetzt hat (...) Die Hamas ist vor allem eine nationale palästinensische Bewegung und das Streben nach der Lösung des Palästinenserproblems hat auch bei diesen Fundamentalisten Vorrang (...) Irgendwann werden nur zwei Möglichkeiten übrig bleiben: Entweder einigen sich Hamas und die Ramallah-Regierung in einer Art von Föderation, die mit Israel verhandeln wird. Oder es entstehen beziehungsweise es bleiben zwei getrennte palästinensische Einheiten bestehen, die separat mit Israel ihre Unabhängigkeit aushandeln werden."
Was der frühere Diplomat hier beschreibt, ist nichts anderes als eine explizite Herausforderung zum Zustandekommen eines politischen Dialoges mit dem Ziel einer einvernehmlichen, wenn auch für manche schmerzhafte Regelung des israelisch-palästinensischen Konfliktes. Doch damit nicht genug: Um die Konfliktparteien nach einer vertraglichen Regelung auseinander zu halten, plädiert Primor nachdrücklich für eine international zusammengesetzte Militärpräsenz unter Führung der Europäischen Union, abgestimmt mit den USA. Die aktive Unterstützung der Liga der Arabischen Staaten hält er für zwingend. Primor glaubt nicht mehr daran, dass Israel allein, ohne Hilfe von außen, eine friedliche Beilegung des Konflikts erreichen kann - ein Mythos, der allzu lange die Maxime israelischer Regierungen gleich welcher Couleur war.
In Israel herrscht große Sorge über die Drohung der iranischen Führung, Israel zu vernichten. Niemand kann diese Drohung einfach abtun. Primor weist in seinem Buch auf ein weithin unbeachtetes Problemfeld hin, das sich als mindestens ebenso bedrohlich darstellen könnte wie die Drohung aus Teheran. Seine Ausführungen zu Pakistan, im Besitz von Atomwaffen und politisch instabil, geben Anlass zu größten Sorgen. Außenminister Steinmeier hat dies mit seinem Besuch in Islamabad nachdrücklich unterstrichen. "Wenn die Bevölkerung Hoffnung schöpft, werden die Terroristen keinen Nachschub bekommen." Ein kühner Satz - von Avi Primor. Hoffentlich auch ein richtiger.
Mit dem Islam gegen den Terror.
Droste Verlag, Düsseldorf 2008, 256 S., 16,95 ¤