NAhost-konflikt
Porträts von Palästinensern und israelischen Elitesoldaten
Es gibt eine Fülle von Büchern über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Aber nur wenige Autoren entscheiden sich so bewusst wie die 28-jährige Reporterin Karin Wenger dafür, dem Leser vom bedrückenden Alltag der Palästinenser zu erzählen.
Die junge Schweizerin kam im Herbst 2004 nach der journalistischen Ausbildung bei der "Neuen Züricher Zeitung" an die Universität Birzeit bei Ramallah, um im Westjordanland ein Semester lang Arabisch zu studieren. Daraus wurden neun Monate, in denen sie für die NZZ in umfangreichen Reportagen aus den besetzten Gebieten berichtete. Immer wieder kehrte sie dorthin zurück. Während die meisten Nahost-Korrespondenten in Jerusalem oder Tel Aviv leben und nur tageweise in die Palästinensergebiete fahren, lebte Wenger vor allem in Ramallah und Gaza und wurde vielerorts Teil des Geschehens.
Ihr neues Buch "Checkpoint Huwara" ist voll von Erlebnissen, denen die meisten Nahost-Korrespondenten angesichts des Arbeitsdrucks niemals so viel Zeit schenken könnten, wie eine ungebundene Studentin. Dadurch führt Wenger ihren Leser mitten hinein in das palästinensische Leben, sodass die menschliche Dimension des zermürbenden Konflikts sehr viel verständlicher wird. Dabei beansprucht die Journalistin keine Neutralität, sondern schreibt mit großer Empathie für die palästinensische Seite, die sie aber auch durchaus kritisch beschreibt.
Sehr eindringlich gelingt ihr das Portrait von Mohammed, den sie zunächst als Übersetzer in Balata, dem größten Flüchtlingslager des Westjordanlandes kennenlernte. Er war damals 27 Jahre alt und gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.
Seine verzweifelte Geschichte steht stellvertretend für das Schicksal vieler junger Palästinenser, die angesichts der israelischen Besatzung und der Zwänge der eigenen Gesellschaft für sich gar keine Perspektive mehr sehen. "Die ganze Welt liegt vor mir, aber ich kann sie nicht erreichen. Nicht mal berühren, kann ich sie. Schau dir die Israeli an! Überall haben sie ihre Kontakte, sie haben Macht, viel mehr als wir, und sie können reisen, wohin sie wollen", gibt das Buch Mohammeds Sicht auf die Welt eine berührende Stimme.
Ihm stellt die Autorin den israelischen Soldaten Shai gegenüber, der als Fallschirmjäger in Balata eingesetzt wurde und später der Soldatenorganisation "Breaking the Silence" beitrat, die über den Militärdienst in den besetzten Gebieten das Schweigen brach. Am Ende des Buches kommt es zu einer eindringlichen Begegnung der beiden Männer, die diese aus ihren unterschiedlichen Perspektiven schildern.
Die große Nähe ist Stärke und Schwäche dieses Buches zugleich. So fehlt es in Wengers Buch an vielen Stellen an angemessener politischer Einordnung und Analyse, vor allem für den Leser, der kein Nahost-Kenner ist. Wenn die Autorin beispielsweise in einem Kapitel über die Sicherheitskonferenz im israelischen Vorort Herzliya im Herbst 2004 zwar die illustre Gesellschaft beim Galadinner süffisant beschreibt, aber andererseits die historische Bedeutung dieser Konferenz einfach unter den Tisch fallen lässt, dann geht ihre subjektive Verengung des Nahost-Konflikts zu weit und führt den Leser in die Irre.
Auch vermag die Konzeption des Buches nicht zu überzeugen, in dem sich kapitelweise tagebuchähnliche Notizen ohne erkennbare Systematik mit dem Mohammed-Portrait oder den sehr ausführlichen Gesprächsprotokollen mit israelischen Elitesoldaten abwechseln. Angesichts eines etwas holperigen Stils der Autorin hätte ein besseres Lektorat manche ungelenke Formulierung glätten können. Dank der Schwarz-Weiß-Fotografien des Berliner Fotografen Kai Wiederhöfer begleiten aber sehr eindrucksvolle Bilder die Lektüre, die ebenso viel vom Leben jenseits der israelischen Mauer erzählen wie der Text.
Checkpoint Huwara. Diederichs Verlag, München 2008; 271 S., 19,95 ¤