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Was bedeutet das neue Konzept in der Praxis? Zwei Beispiele aus Dachau und Berlin
Eigentlich wollte Brigitte Fiedler draußen vor der Baracke bleiben und dort aus dem Alltagsleben der Häftlinge im ehemaligen Konzentrationslager Dachau erzählen. Aber die Schüler wollten rein, ins Warme, sich hinsetzen. Brigitte Fiedler ist flexibel. Also sitzen die 32 Zehntklässler der Uhland-Realschule aus Göppingen nun im Gemeinschaftsraum der rekonstruierten Baracke, auf Tischen. Mit ihrem weichen Bayerisch erzählt Brigitte Fiedler vom frühen Aufstehen, der Fronarbeit den ganzen Tag über und von den Abenden, an denen die Häftlinge manchmal zusammen saßen, in einem Raum wie diesem hier, an denen sie Lieder sangen oder versuchten, sich gegenseitig Sprachen beizubringen. Und sie liest wieder ein Stück aus dem Tagebuch von Edgar Koberwitz vor; die Passage, in der er berichtet, wie die Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau mitten in der Nacht bei minus 20 Grad zum Strafappell antreten mussten und wie dabei manchmal 50 Menschen umfielen und erfroren.
Stille. Sogar die coolsten Jungs haben jetzt aufgehört herumzualbern. In den Köpfen der Schüler arbeitet es. Das verraten die konzentrierten Gesichter, die starren Augen. Ihre Gedanken kreisen immer wieder um ein Thema: die Ausweglosigkeit der Häftlinge. Erst fragen sie nur zögerlich. Einer von den vorher so Unbeeindruckten macht den Anfang: "Wurden hier auch Menschen einfach so erschossen?" Dann fassen sich auch die anderen ein Herz. "Haben es welche geschafft abzuhauen?", fragt ein Mädchen. "Hatten die Gefangenen Geld, um die Wärter zu bestechen?", fragt ein anderes. "Warum gab es keine Massenaufstände? Wenn man in so einer Gruppe zusammen ist, überlegt man sich doch so etwas."
Die Schüler suchen nach Auswegen, auch jetzt noch, mehr als 60 Jahre nach dem Ende der Terrorherrschaft. Doch Brigitte Fiedler kann ihnen da wenig bieten. Fast nichts. Aber sie hat etwas anderes erreicht. Sie hat einen Moment des Gedenkens erzeugt.
Es war einer der Momente, für die auch Gabriele Hammermann arbeitet. Die kommissarische Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau hat viel zu tun zurzeit. Über die Zukunft der Gedenkstätte spricht sie dennoch gerne; es ist ja auch ein erfreuliches Thema. "Wir stehen vor einem wirklichen Qualitätssprung für unsere Arbeit, sowohl in finanzieller wie auch in inhaltlicher Hinsicht", sagt Hammermann.
Ermöglicht wird der Qualitätssprung durch die Neufassung des Gedenkstättenkonzepts des Bundes. Darin ist unter anderem festgeschrieben, dass Dachau und die KZ-Gedenkstätten Flossenbürg, Bergen-Belsen und Neuengamme auch vom Bund institutionell gefördert werden und nicht mehr nur Geld für einzelne Projekte bekommen. Insgesamt sind für die Gedenkstättenförderung im Bundeshaushalt 35 Millionen Euro vorgesehen, bisher waren es 22 Millionen Euro. Dachau - das erste dauerhafte Konzentrationslager der NS-Diktatur und zudem das einzige, das bis zu deren Ende 1945 bestand - soll von 2009 an jährlich zusätzlich 700.000 Euro bekommen, plus Projektgelder.
Wie groß der finanzielle Sprung nach vorn ist, zeigt der Vergleich mit dem bisherigen Jahresetat. Grundsätzlich ist und bleibt die Unterhaltung von Gedenkstätten Ländersache. Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten hat dafür 4,5 Millionen Euro zur Verfügung. Zuletzt gingen davon etwa 3 Millionen Euro nach Dachau. Das Geld vom Bund bringt eine Steigerung des festen Etats um 25 Prozent.
Dass Gabriele Hammermann mit dem Gedenkstättenkonzept in der am 13. November vom Bundestag beschlossenen Form gut leben kann, liegt aber nicht nur an dem Geldsegen aus Berlin. Sie glaubt auch, dass die meisten "inhaltlichen Schieflagen" ausbalanciert seien. Als Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) im Sommer 2007 den ersten Entwurf für das Konzept vorlegte, hatte noch ein vielstimmiger Protestchor angehoben. Kern des Streits war, wie man das Gedenken an NS-Unrecht und an SED-Unrecht gewichten soll. "Anfangs ging es darum, Schwerpunkte in der Geschichtspolitik zu verschieben", kritisiert Gabriele Hammermann. Die Kritiker warfen Neumann vor, eine Art Geschichtsrelativismus zu betreiben. Durch eine Gleichsetzung der NS- und der SED-Diktatur würde die Geschichte des Dritten Reichs marginalisiert.
In der Debatte ging es aber nicht nur um die Inhalte, sondern auch um Geld. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sprach vom "Verteilungskampf um den Aufarbeitungskuchen". Eine Formulierung, die Gabriele Hammermann zwar für "verkürzt" hält. Sie betont allerdings, dass "sicherlich eine Konkurrenz bestanden hat. Für die Aufarbeitung der SED-Geschichte existieren deutlich mehr Fördermöglichkeiten als für Forschungen und pädagogische Projekte im Bereich der NS-Geschichte".
Dem tritt Udo Wengst, stellvertretender Leiter des Instituts für Zeitgeschichte in München, entgegen: "Aus dem Gedenkstättentopf haben SED-Gedenkstätten weniger bekommen. Das lag auch daran, dass die Anträge von SED-Gedenkstätten qualitativ oft einfach zu schlecht waren." Wengst war Mitglied der Expertenkommission, die früher mitentschied, welche Projekte gefördert wurden. Auch der neuen Kommission, die sich 24. November zum ersten Mal trifft, wird der Historiker angehören.
In dem jetzt verabschiedeten Gedenkstättenkonzept sind die Formulierungen zum Verhältnis des Gedenkens deutlich entschärft. "Vieles würde ich unterschreiben", sagt Udo Wengst. "Es ist klar, dass es nie um eine Gleichsetzung geht. Es geht aber immer darum, mit Vergleichen auch die Unterschiede herauszuarbeiten." Ganz verstummt ist die Kritik auch an der Neufassung nicht. Gabriele Hammermann etwa bezweifelt, ob alle nun geförderten SED-Gedenkstätten wirklich von nationaler oder gar internationaler Bedeutung seien.
In Dachau soll es endlich ein Ende haben mit der personellen Mangelwirtschaft. 4,5 neue Arbeitsstellen sind beantragt, bisher waren es insgesamt 6,5 Stellen. Mehr Honorarkräfte, die Führungen leiten wie Brigitte Fiedler, sollen angeheuert werden. "Wir wollen unsere Erkenntnisse besser vermitteln. In der Vergangenheit haben uns gerade die pädagogischen Mitarbeiter gefehlt", sagt Gabriele Hammermann. "Wir mussten weit mehr als ein Drittel aller angefragten Führungen wegen Personalmangels absagen." Pro Jahr kommen etwa 700.000 Besucher nach Dachau, im Schnitt knapp 2.000 pro Tag. Rund die Hälfte kommt aus dem Ausland. "Gerade auf die Bedürfnisse der internationalen Besucher wollen wir künftig besser eingehen", sagt Hammermann. Um auch ihnen mehr Momente des Gedenkens zu verschaffen, wie sie die Realschüler aus Göppingen erlebt haben und um die Erinnerung wach zu halten.