KONFERENZ
In Polen sprachen die Präsidien von Bundestag und Sejm über gemeinsame Projekte und Ziele
Jahrzehntelang galt das deutsch-französische Verhältnis als das Zugpferd im europäischen Einigungsprozess. Jetzt bekommt es Konkurrenz aus dem Osten: Das alte Zugpferd hinkt inzwischen ein wenig, spotten die Polen, und sprechen von einem neuen deutsch-polnischen Tandem, das vor allem die "europäische Ostpolitik" - eine Herzensangelegenheit Polens - in der EU vorantreiben soll.
In der Tat zeigen die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau in den vergangenen Monaten große Vitalität, auch auf Regierungsebene. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wird nicht müde zu betonen, dass der Dialog zwischen den Parlamentenselbst in der Zeit der Kaczynski-Regierung nie erlahmt sei. Die Beziehungen hätten sich "in erstaunlicher Weise" entwickelt. "Das kann man schon an der Anzahl der gemeinsamen Ausschusssitzungen erkennen, die inzwischen größer ist als die der deutsch-französischen", so Lammert.
Am 23. und 24. November trafen sich nun die Präsidien von Bundestag und Sejm in Polen. Und die polnischen Gastgeber haben bei den Vorbereitungen nichts dem Zufall überlassen: Die Orte der Begegnung sollten die gemeinsame Geschichte beider Nationen symbolisieren, die Tagesordnungen dagegen Vergangenheit und Zukunft miteinander verbinden. So reisten die Parlamentarier zum ersten Teil der Konferenz nach Breslau, in eine Stadt, die "Glanz und Elend der deutsch-polnischen Geschichte" deutlich macht, wie Lammert feststellte. Bewusst wählte die polnische Seite die ehemals deutsche Universtität in Breslau mit der prachtvollen barocken Aula Leopoldina als Ort für die Begegnung. Der Sitzungssaal - das nach dem Krieg wiederhergestellte Oratorium Marianum - löste bei Lammert spontan die Assoziation mit der Entwicklung der Parlamentsbeziehungen aus, die inzwischen "ein stabilisierender Faktor im deutsch-polnischen Verhältnis sind".
Zuvor bekamen die deutschen Abgeordneten einen Schnellkurs in der Geschichte Polens: bei der Besichtigung der bekanntesten Sehenswürdigkeit der Stadt, des "Panoramas von Raclawice", das bis 1946 im früher polnischen Lemberg beheimatet war. Das 15 mal 114 Meter große Bild, an dem mehrere Maler Ende des 19. Jahrhunderts fast ein Jahr arbeiteten, zeigt den Sieg der polnischen Armee über die Russen in der Schlacht von Raclawice 1794. Erst seit 1985 wird es in Breslau in einem speziell angefertigten Bau ausgestellt. Auch bei dieser historischen Reminiszenz darf man eine Botschaft an die deutschen Gäste vermuten. Die sorgfältige Regie fruchtete: Wie ein gutes Team spielten Bundestagspräsident Lammert und Sejmmarschall Bronislaw Komorowski vor der Presse im Schloss des ehemaligen Gutes von Helmuth James Graf von Moltke in Kreisau einander die Bälle zu. Auch dieser Ort - eine Stätte des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime - hat einen hohen Symbolwert. Dort hatten bereits 1989 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der erste nichtkommunistische Regierungschef Polens nach 1945, Tadeusz Mazowiecki, mit ihrer Umarmung ein Zeichen der Versöhnung gesetzt.
Daran wollen die Parlamente im kommenden Jahr anknüpfen. 2009 wollen sie als ein "Fest der Demokratie", so Komorowski, im Gedenken an den Zusammenbruch des Kommunismus in Europa gestalten. "Wir wollen gemeinsam daran erinnern, dass die Überwindung der Teilung Europas kein Naturereignis war, sondern Folge der Demokratisierungsbewegungen in Mittel- und Osteuropa von den 50er- bis zum Ende der 80er-Jahre", sagte Lammert in Kreisau. "Die Gewerkschaft Solidarnos?c? spielte hier eine überragende Rolle." An sie soll eine Gedenktafel erinnern, die im Juni 2009 zusammen mit einem Fragment der Mauer der Danziger Werft am Reichstagsgebäude in Berlin angebracht werden soll, kündigten beide Parlamentschefs an. Außerdem soll im Frühjahr 2009 eine Ausstellung über die Solidarnos?c? im Deutschen Bundestag und im November darauf eine Ausstellung über den Fall der Mauer im polnischen Sejm zu sehen sein.
Übereinstimmend berichteten die Teilnehmer der Konferenz - neben den Präsidien auch die Vorsitzenden der Auswärtigen und der EU-Ausschüsse sowie der bilateralen Parlamentariergruppen - von der freundschaftlichen Atmosphäre. Mit der Vertiefung der persönlichen Kontakte sei ein Klima des wechselseitigen Vertrauens entstanden, in dem es beiden Seiten immer leichter falle, offen auch über kontroverse Themen zu sprechen, sagte Bundestagspräsident Lammert. Dies habe "eine beachtliche politische Bedeutung", denn die deutsch-polnischen Beziehungen spielten bei der Vertiefung der Integration der erweiterten EU eine Schlüsselrolle - ähnlich wie das deutsch-französische Verhältnis in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg.
Dass es den Parlamentariern an Gesprächsstoff nicht mangelt, zeigte das Themenspektrum, über das sie während der Konferenz - durchaus mit unterschiedlichen Akzenten - diskutierten: Auf der Agenda standen neben der europäischen Nachbarschaftspolitik, auch die Außen- und Sicherheitspolitik - mit dem Schwerpunkt auf die "Ostpolitik der EU". Ein besonderes Augenmerk widmete die Konferenz dem Dialog in Kultur, Bildung und beim Jugendaustausch. Der nächste Termin für ein gemeinsames Treffen steht auch schon fest: Frühjahr 2009 in Berlin.