WAHLEN
Der Urnengang in Hessen hat auch die Stimmenverhältnisse im Bundesrat und der Bundesversammlung verändert: gut für Horst Köhler, schlecht für die Bundesregierung
Bei der Hessen-Wahl am 18. Januar durften sich auch Bundespräsident Horst Köhler und FDP-Chef Guido Westerwelle zu den Gewinnern zählen, obwohl sie überhaupt nicht auf den Wahlzetteln standen: Die 61 Prozent der Wahlberechtigten, die tatsächlich ihre Stimme abgaben, sprachen damit nämlich auch ein gewichtiges Wort bei der künftigen Zusammensetzung des Bundesrates sowie der Bundesversammlung zur Wahl des nächsten Staatsoberhauptes mit. Demzufolge konnte das Köhler-Lager in der Bundesversammlung seinen Vorsprung vor den rot-grünen Anhängern der SPD-Kandidatin Gesine Schwan ausbauen, und die absehbare CDU/FDP-Koalition in Wiesbaden verschafft Westerwelles Partei noch mehr Gewicht in der Länderkammer - auf Kosten der im Bund regierenden Großen Koalition.
Bislang verfügten die Alleinregierungen und gemeinsamen Regierungsbündnisse von Union und SPD im Bundesrat über 35 der insgesamt 69 Länder-Stimmen und damit exakt über die zur absoluten Mehrheit erforderliche Stimmenzahl. Damit ist es vorbei, wenn nun in Wiesbaden Schwarz-Gelb regiert. Das wird sich künftig vor allem bei Bundesgesetzen bemerkbar machen, für die die Zustimmung der Länderkammer erforderlich ist. Für Beschlüsse des Bundesrates nämlich ist mindestens die absolute Mehrheit erforderlich, manchmal sogar die Zweidrittelmehrheit von 46 Stimmen.
Letzteres gilt etwa bei Verfassungsänderungen, wie sie möglicherweise im Rahmen der angestrebten Föderalismusreform II anstehen. Solche Beschlüsse konnte es schon vor der Hessen-Wahl nicht mehr ohne das Placet der FDP geben, da sich ein Land normalerweise bei Bundesratsabstimmungen enthält, wenn sich die jeweiligen Koalitionspartner in der entsprechenden Frage nicht einigen können. Mit ihren Regierungsbeteiligungen in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, die alle über jeweils 6 Bundesratsstimmen verfügen, haben die Liberalen bereits Einfluss auf insgesamt 24 Länder-Stimmen, gegen die in der Länderkammer die Zweidrittelmehrheit nicht zu erreichen ist.
Mit den fünf hessischen Bundesratsstimmen werden künftig sogar 29 Stimmen auf das schwarz-gelbe Lager entfallen, während sich die schwarz-rote Bundesregierung dann nach Bundesgenossen umsehen muss, um die sogenannten Zustimmungsgesetze in der Länderkammer über die Hürden zu hieven. Als Helfer in der Not kommen dabei nicht nur die Freidemokraten in Betracht, sondern auch die in Hamburg und Bremen mitregierenden Grünen.
Die gemeinsamen Koalitionen von Christ- und Sozialdemokraten in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, und Schleswig-Holstein sowie die CDU-Alleinregierungen im Saarland und in Thüringen kommen im Bundesrat gemeinsam mit dem SPD-regierten Rheinland-Pfalz auf insgesamt 30 Stimmen; es fehlen also noch weitere 5 Stimmen zur absoluten Mehrheit. Diese Lücke können derzeit neben der FDP auch die Grünen füllen, die dank ihrer Regierungsbeteiligung in den beiden Hansestädten bei der Vergabe von 6 Bundesratsstimmen mitzureden haben. Prompt setzte in den Tagen nach der Wahl in Hessen denn auch die Debatte darüber ein, welche der beiden Oppositionsparteien nun zu welchen Bedingungen dem Konjunkturpaket II der Bundesregierung in der Länderkammer die notwendige Mehrheit verschafft.
Leichter wird das Regieren für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) also in den wenigen Monaten der verbleibenden Legislaturperiode nicht. Dafür ist jedoch die Wahrscheinlichkeit gewachsen, dass sich bei der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai der von ihr und FDP-Chef Westerwelle unterstützte Amtsinhaber Köhler wie schon vor fünf Jahren gegen die SPD-Kandidatin Gesine Schwan durchsetzt.
Laut Grundgesetz besteht die Bundesversammlung aus den Bundestagsabgeordneten - zurzeit 612 - und ebenso vielen von den Landtagen zu wählenden Mitgliedern, also aus insgesamt 1.224 Wahlleuten. Vergangene Woche setzte die Bundesregierung fest, wie viele Personen die einzelnen Landtage in die Bundesversammlung entsenden dürfen. Demnach winkt Köhler die in den ersten beiden Wahlgängen notwendige absolute Mehrheit von 613 Stimmen.
Voraussichtlich wird die Union 499 Wahlleute stellen und die FDP 107 - drei mehr als vor der Hessen-Wahl. Zählt man zu diesen 606 Stimmen noch die 10 Vertreter der Freien Wähler in Bayern dazu, wären das für Köhler 3 Stimmen "über den Durst". Schwan setzt indes darauf, dass in der geheimen Abstimmung wie schon 2004 auch Wahlleute des anderen Lagers für sie votieren und sie zudem neben SPD und Grünen auch die Linke vollständig hinter sich scharen kann. Bei insgesamt 601 Stimmen von Rot-Rot-Grün fehlten ihr dann 12 Voten, weshalb auch sie auf die Freien Wähler hofft.
Die Linke allerdings geht erstmal mit dem Schauspieler Peter Sodann als eigenem, wenngleich chancenlosen Kandidaten ins Rennen. Richtig spannend würde es daher, wenn Köhler die absolute Mehrheit verfehlen und die Linke dann Sodann zurückziehen sollte.