ANTISEMITISMUS
Karikaturen von heute bedienen sich jahrhundertealter Stereotype. Eine Ausstellung israelischer und deutscher Forscher klärt über diese Vorurteile gegen Juden auf
Die Karikaturen und Fotos sind wenige Jahre alt, das Stereotyp, das dahinter steckt, existiert seit Jahrhunderten: "Die Juden" sollten verantwortlich für alle schlechten Ereignisse in dieser Welt sein. Im Mittelalter wurde das Vorurteil verbreitet, sie würden Blut von Christenkindern für Rituale nutzen. Das Bild des "kinderfressenden Juden" wird bis heute verwandt - etwa in einer Karikatur, die den ehemaligen israelische Ministerpräsident Ariel Scharon als "Kinderfresser" zeigt.
Mit Bildern wie diesem setzt sich die Ausstellung "Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?"auseinander, konzipiert vom Holocaust-Gedenkzentrum Yad Vashem in Jerusalem und dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Sie will darauf aufmerksam machen, wie sich judenfeindliche Stereotype in allen gesellschaftlichen Schichten bis heute gehalten haben. Anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar wird sie vom 26. bis 30. Januar im Bundestag gezeigt.
Anhand von Karikaturen, Bildern und Texten der letzten Jahre sollen die Besucher über verschiedene Formen des Antisemitismus in Deutschland und Europa aufgeklärt werden. Im Vordergrund stehen Sichtweisen, nach denen "die Juden" als "Macht" empfunden werden, die große Teile der Gesellschaft kontrolliert. "Gerade der wieder eskalierte Nahost-Konflikt bietet eine willkommene Plattform, Vorbehalte gegen Juden zu äußern", sagt Juliane Wetzel, eine der Organisatorinnen der Ausstellung. Außerdem sollen die Besucher erkennen, wo die Grenzen zwischen Antizionismus, also dem Hass auf den Staat Israel, und legitimer Kritik an Israels Politik liegen.
"Der Antisemitismus liegt in Deutschland relativ konstant auf einem ziemlich niedrigen Level", urteilt Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Dabei gebe es keine großen Unterschiede mehr zwischen Ost- und Westdeutschland. Man müsse zudem unterscheiden zwischen "Einstellungen", die nicht zu Taten führten, und manifestem Antisemitismus, der sich beispielweise in Gewalttaten äußere. Benz, der wissenschaftlicher Berater der Ausstellung ist, betont, es sei "das Gebot von Politik und Gesellschaft, dieses Level niedrig zu halten".
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel "Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2008" hat ebenfalls vergleichsweise niedrige Werte im Bereich Judenfeindlichkeit festgestellt. Durchschnittlich neun Prozent der 2.524 Befragten im Alter von 14 bis 91 Jahren stimmten den ihnen vorgelegten antisemitischen Aussagen zu. Ausländerfeindliche Thesen unterstützten dagegen über 21 Prozent.
Auf den Fragebögen standen Behauptungen wie "Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß". Analog zu den anderen untersuchten rechtsextremen Einstellungen stellten die Autoren einen Zusammenhang von Bildung und Antisemitismus fest. Knapp zehn Prozent der Probanden ohne Abitur unterstützten die judenfeindlichen Thesen, während es nur 3,5 Prozent der Teilnehmer mit Abitur taten. In den Jahren 2002, 2004 und 2006 ermittelte die Stiftung immer durchschnittliche Zustimmungswerte von acht bis zehn Prozent für antisemitische Einstellungen. Der Wert ist also relativ konstant.
Zu einem ähnlichen Schluss kamen auch Wissenschaftler des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld in ihrer Studie "Deutsche Zustände". Die Forschergruppe stellte für die Jahre 2002 bis 2008 leicht sinkende Zustimmungswerte zu judenfeindlichen Äußerungen fest. Die 2.000 Teilnehmer hatten auf einer Skala von eins bis vier angegeben, ob sie den vorgelegten Aussagen zustimmen. 2008 lag der Mittelwert bei 1,6 Punkten, also einer tendenziellen Ablehnung der Vorurteile. Die Forscher hatten aber im Jahr 2006 im Rahmen einer Nacherhebung festgestellt, dass antisemitische Haltungen nach dem Libanon-Krieg zunahmen, also auch abhängig sind von aktuellen Ereignissen.
Insbesondere vor dem Hintergrund des derzeitigen Nahost-Konflikts sind sich die Berliner Wissenschaftler Wetzel und Benz einig, dass weiterer Forschungs- und Aufklärungsbedarf besteht. So wisse man noch zu wenig über das Verhältnis jugendlicher Migranten zu Antisemitismus. Beispielsweise sei unklar, wie Jugendliche auf judenfeindliche Berichterstattung arabischer Fernsehsender reagierten, die sie per Satellit auch in Deutschland empfangen könnten.
"Aufgrund der fehlenden Daten kann man nur schwer pädagogische Konzepte entwickeln", sagt Wetzel. Die Konzepte seien aber nötig, auch aus aktuellem Anlass. Während Lehrer-Fortbildungen habe sie festgestellt, dass viele Pädagogen sich nicht gut genug auf das Thema Nahost-Konflikt vorbereitet fühlten und Angst vor antisemitischen Äußerungen der Schüler im Unterricht hätten. Sie beließen es meist bei der Aufklärung über den Zweiten Weltkrieg und der Darstellung jüdischer Geschichte. Das reiche aber nicht aus, um den Schülern eine fundierte Grundlage zur Beurteilung der Lage Israels und Palästinas zu vermitteln. "Nötig ist die Behandlung des Konfliktes auch in seiner historischen Dimension", ist Wetzel überzeugt. Da Medien in der Regel nur aktuell berichteten, hätten die Jugendlichen wenig Möglichkeiten, sich umfassend zu informieren.