Kaiserreich
Lothar Machtan über das Ende der Monarchie in Deutschland
Das Deutsche Kaiserreich von 1871 war in seiner obersten Ebene ein Kartell von 22 Monarchen mit vier Königreichen, elf (Groß-)Herzogtümern und sieben Klein-Fürstentümern. Zusammen mit dem Deutschen Kaiser - zugleich preußischer König - an der Spitze waren sie die Träger der politischen Souveränität in Deutschland. Dieser hochadelige Herrscherverbund war zu gegenseitiger Loyalität und Solidarität verpflichtet, vor allem auch gegenüber dem Deutschen Kaiser als primus inter pares unter den Bundesfürsten. Als es aber im Herbst 1918 gärte in Deutschland, als kriegsmüde Soldaten und hungernde Arbeiter gegen die als nichtsnutzige Schmarotzer empfundene monarchische Herrscherklasse aufbegehrten, war nichts zu spüren von dieser Loyalität und Solidarät.
Die Monarchien stürzten im November 1918 beim ersten revolutionären Lüftchen zusammen wie Kartenhäuser. Und "nicht ein Tropfen ‚Tyrannen'-Blut" floss, schreibt Lothar Machtan in seinem überaus lesenswerten Buch über das Ende des Deutschen Kaiserreichs. Mit seiner Untersuchung konnte der Bremer Historiker jetzt eine Forschungslücke schließen; denn die Geschichtswissenschaft hatte sich bisher fast nur mit den Siegern der deutschen Novemberrevolution beschäftigt, kaum aber mit den damals "widerstandslos Besiegten". Machtan hat das nun nachgeholt anhand der Frage, "wie denn eigentlich die bis dahin in Deutschland mehr oder weniger souverän Herrschenden diese ihnen oktroyierte Entthronung erlebt, vollzogen und verarbeitet" haben.
Wie nicht anders zu erwarten nimmt der letzte Deutsche Kaiser Wilhelm II. breiten Raum ein in Machtans Werk. Erkennbar wird ein wirrer, großprotziger, führungsunfähiger, womöglich manisch-depressiver Herrscher, der sich in Hasstiraden gegen Juden, Bolschewiken, Parlamentarier und Demokraten erging und gänzlich unter dem schädlichen, reaktionären Einfluss seiner Frau stand. Nachdem längst die Republik ausgerufen war, unterzeichnete der Kaiser am 28. November 1918 die Abdankungsurkunde wohl nur, weil ihm zuvor Friedrich Ebert als Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten und monarchistisch gesinnter Sozialdemokrat den Rückfluss von Geldmitteln in Millionenhöhe aus dem beschlagnahmten kaiserlichen Familienvermögen in Aussicht gestellt hatte.
Im ersten Teil des Buchs zeichnet Machtan ein Zustandsbild des deutschen Herrscherstands vor dem Ersten Weltkrieg. Da hält man fürstlicherseits zu Beginn des 20. Jahrhunderts unbeirrt an der Herrschaft "von Gottes Gnaden" fest, feiert sich mit pompösen Auftritten, bei denen schon die Medien (Illustrierte, Film) eine wichtige Rolle spielen. Forderungen seitens der "Untertanen" nach mehr parlamentarischer Macht werden selbstverständlich zurückgewiesen und also auch der Weg zu einer parlamentarischen Monarchie wie in Holland, Schweden oder Großbritannien.
Als Wilhelm II. von einer derartigen Entwicklung in Schweden hört, nennt er den schwedischen König einen "elenden Schlappschwanz", weil der die Parlamentarisierung nicht verhindert. Dabei konnte der schwedische König gerade dadurch die Monarchie in seinem Land für die Zukunft retten. Wilhelm erkannte dagegen nicht, dass die werdende demokratisch-moderne Welt für Monarchen nicht mehr die politische Macht, sondern allenfalls eine repräsentative Rolle akzeptiert.
Tatsächlich sympathisierten am Ende des Kaiserreichs viele in Deutschland mit einer parlamentarischen Monarchie, und zwar nicht nur Konservative. Friedrich Ebert gehörte zu ihren prominentesten Befürwortern. Er sah wie viele andere Sozialdemokraten in einem Monarchen einen überparteilichen Stabilisator in turbulenten Zeiten. Lothar Machtan fragt deshalb zurecht, wie republikanisch die demokratische Linke im Herbst 1918 eigentlich war - und kommt zu dem Schluss: es waren "Republikaner wider Willen".
Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen.
Propyläen Verlag, Berlin 2008; 427 S., 24,90 ¤