KONJUNKTURPAKET
Für viele Kommunen sind die zusätzlichen Mittel ein Glücksfall - zwei Beispiele aus Stadt und Land
Wenn es nach Manfred Busch geht, könnten die versprochenen Millionen des Konjunkturpakets sofort ausgegeben werden. Der Kämmerer der Stadt Bochum blättert in einer 232 Seiten lange Liste mit Investitionen, die in der Ruhrgebietskommune dringend notwendig sind. Am Schulgebäude am Ostring in der Innenstadt müsste die Heizung saniert werden, das Gymnasium braucht einen schnellen Internetzugang, und die Alarmanlage müsste erneuert werden. Knapp eine Million Euro könnte allein in dieses Backsteingebäude aus den 50er Jahren fließen. Würden alle Schulen, Brücken, Straßen und Gebäude saniert, müsste Bochum 300 Millionen Euro ausgeben. "Das Konjunkturpaket ist ein Glücksfall für uns", sagt Busch und streicht über seinen Kinnbart.
Busch ist ein grüner Kämmerer und in den dreieinhalb Jahren seiner Amtszeit haben ihn viele Hiobsbotschaften erreicht. Vor allem im "schwarzen letzten Jahr". Die Stadt Bochum dürstet nach frischem Geld wie vielleicht nur wenige Städte in Deutschland. Die Schattenseiten der globalisierten Wirtschaft waren hier innerhalb weniger Monate mehrfach zu spüren. Mit dem plötzlichen Nokia-Wegzug im Januar startete das Jahr 2008 unter einem denkbar ungünstigen Stern. 2.500 Menschen wurden arbeitslos, rund die Hälfte von ihnen werden 2009 nach dem Auslaufen der Transfergesellschaft Arbeitslosengeld von der Stadt benötigen. Auch fehlen nun jährlich 25 Millionen Euro Gewerbesteuer des finnischen Handyproduzenten. Seit Jahren hoch verschuldet hat die Kommune zusätzlich einige Millionen Euro bei den riskanten Cross-Border-Leasing-Geschäften mit amerikanischen Banken verloren. Nun bangt auch noch Autobauer Opel um seine Existenz in der 400.000-Einwohner starken Kommune. Rund zweihundert Leiharbeiter wurden schon im Sommer entlassen. "Die Bochumer müssen ständig neu um jeden Euro und jeden Job kämpfen", sagt Ulrike Kleinebrahm, Bevollmächtigte der Bochumer IG-Metall. Busch sitzt selbst in einem Sanierungsfall. Das imposante Bochumer Rathaus stammt aus den 1920er Jahren, hat eine schlechte Heizungsanlage und zugige Fenster. Auf seinem rund fünf Meter langen, halbrunden Schreibtisch stapeln sich dutzende von Akten. Der städtische Zahlenjongleur nimmt es gelassen. "Der Kämmerer steht immer unter demselben Druck: Hat er viel Geld, wollen auch alle was, hat er wenig, sind die Wünsche auch kleiner", sagt er lachend. Aber jetzt würden natürlich viele Schulen und "lange Zukurzgekommene" neue Hoffnungen hegen.
Ob er sie alle erfüllen kann? "Noch kann ich nichts versprechen", sagt er. Nach informellen Berechnungen könnte Bochum mit 45 Millionen Euro von dem vor zwei Wochen vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachten und diese Woche im Bundestag diskutierten Konjunkturpaket profitieren. Denn es enthält ein kommunales Investitionsprogramm von zehn Milliarden Euro. Davon sollen rund 65 Prozent in den Bildungsbereich und der Rest in die Infrastruktur fließen. Zusätzlich sollen die Länder weitere 3,3 Milliarden Euro aufbringen. Für Nordrhein-Westfalen stehen laut SGK aus diesen Töpfen 2,84 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Löwenanteil für die Bildung sei am "leichtesten zu vergeben", seufzt Busch. Schwieriger werde es bei der "Zusätzlichkeit" der Projekte, die die Berliner Politiker bislang einfordern wollen. "Unser regulärer Haushalt wird Ende Februar verabschiedet", sagt er. Alles, was darin aufgeführt wird, kann möglicherweise nicht mehr als "zusätzlich" gefördert werden, fürchtet Busch. Er hofft darauf, dass die Vergaberichtlinien, wie von der Bundesregierung versprochen, vereinfacht werden. "Wenn wir erst europaweit ausschreiben müssen, dauert das monate - manchmal sogar jahrelang", sagt er. "Dafür haben unsere Schulen keine Zeit."
In der benachbarten Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen ist die Dringlichkeit den Lehrgebäuden anzusehen. Zum Beispiel an der Michael-Ende Schule. Wenn es draußen schneit, reißen die Lehrer der Förderschule die Fenster auf. Scheint die Sonne, behalten Schüler und Pädagogen wiederum manchmal die Jacken an. Die Nachtspeicherheizung aus den 1970er Jahren ist zu marode, um eine angenehme Temperatur im Klassenzimmer herzustellen. "Ich bin sehr froh, wenn wir jetzt sanieren können", sagt Schulleiterin Agnes Mueßmann-Köster.
Als sich ein zweites Konjunkturpaket abzeichnete, habe sie schon Hoffnungen geschöpft. "Bisher haben wir immer nur häppchenweise investiert, um Unfälle zu verhindern", sagt die Rektorin. 957 Kilowattstunden sind rechnerisch nötig, um einen Quadratmeter pro Jahr zu beheizen - dieser hohe Verbrauch ist auf der Skala der modernen Energieausweise gar nicht mehr zu finden. Nun plant die Stadt, mit Hilfe der Bundessubventionen die Schule energetisch zu sanieren. Zukünftig soll mit Pellets geheizt werden, die Fenster sollen ausgetauscht und die Außenwände wärmegedämmt werden. "Schon lange war uns dies ein Anliegen", sagt der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD). Aber ohne das Konjunkturpaket würde die Sanierung wie die Jahre zuvor wohl wieder hinausgeschoben werden. "Wir haben eine ganze Menge Pläne in der Schublade", sagt Baranowski. Nach "sehr vorsichtiger Schätzung" rechnet er mit rund 30 Millionen Euro aus dem Milliarden-Paket.
Für Gelsenkirchen könnte sich die Finanzkrise als Hoffnungsschimmer erweisen. Seit vielen Jahren steht die Ruhrgebietskommune unter der sogenannten Haushaltssicherung, muss sich jede Ausgabe von der Bezirksregierung genehmigen lassen. Dabei hätte die Schalke-Stadt mit einer überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit und dem schwierigen Erbe der Kohleindustrie Investitionen bitter nötig. Furchen und Löcher in den Straßen bremsen Autofahrer auf Schrittgeschwindigkeit herunter, es fehlt an Kinderbetreuungsplätzen und gepflegten Grünflächen. Auch den Gelsenkirchenern kann es jetzt gar nicht schnell genug gehen. "Wir hoffen darauf, dass wir rasch einen pauschalen Betrag erhalten, den wir dann sinnvoll ausgeben können", sagt Rathauschef Baranowski. Er setze darauf, dass bei den Vergaberichtlinien kommunale Praktiker gefragt würden.
Bislang ist noch unklar, wie die Milliarden des Konjunkturpakets genau verteilt werden sollen. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) hat vor wenigen Tagen die Michael-Ende-Schule auch persönlich in Augenschein genommen und dabei "eine schnelle und unbürokratische Vergabe" versprochen.
Aber die kommunalen Mühlen mahlen trotzdem langsam. Selbst der optimistische Bochumer Kämmerer Busch glaubt erst an eine feste Zusage im März. Und dann müssen noch die Handwerker gefunden werden, die die vielen unverhofften Aufträge in den Schulferien bewerkstelligen können. Die Konjunkturhilfen, glaubt nicht nur Busch, werden die Kämmerer noch einige Jahre beschäftigen.