Korruption bei Siemens
Eine spannende Aufarbeitung der Schmiergeld-Affäre
Ob der Korruptionssumpf bei Siemens mit einem Schmiergeldstrom von vermutlich 1,3 Milliarden Euro die "gewaltigste Affäre der deutschen Wirtschaftsgeschichte" ist, wie Hartmut M. Volz und Thomas Rommerskirchen behaupten, mag dahingestellt bleiben. So hat beispielsweise der Flowtex-Skandal mit Schneeballgeschäften rund um nicht existierende Horizontalbohrmaschinen einen Schaden von etwa zwei Milliarden Euro angerichtet. Und das Desaster um die Flickspenden hat das politische System der alten Bundesrepublik bis ins Mark erschüttert. Aber es kommt nicht auf die Rangliste an: Volz und Rommerskirchen werfen den Blick auf eine in der Tat dunkle Welt - auf schwarze Kassen, die bei Siemens für den mit Profitgier verwobenen Konkurrenzkampf um Märkte als Schmiermittel dienten.
Die beiden Journalisten haben einen spannenden Wirtschaftskrimi zu Papier gebracht, den sie verständlich und gut lesbar aufbereitet haben. Neue Details präsentieren sie zwar nicht, auch nicht zur Beantwortung einer Kernfrage: Inwiefern war die engere Führung um Heinrich von Pierer in die Machenschaften involviert? Doch die Zusammenschau des Skandals liefert ein eindrucksvolles Sittengemälde aus dem kapitalistischen Innenleben.
Siemens ist ein Riesenunternehmen, dessen Produktpalette von Küchengeräten über Medizintechnik und Energie bis zu Eisenbahnzügen reicht. Es mutet schon irre an: Von Afrika bis China, von Arabien bis Norwegen, von Südamerika bis Russland - rund um den Erdball zahlte der Konzern gewaltige Bestechungssummen, um lukrative Aufträge an Land zu ziehen.
Besonders aufschlussreich liest sich das Kapitel über den Fall Wilhelm Schelsky, der die AUB als eine Art siemenseigene "Gewerkschaft" gegen die IG Metall in Stellung bringen sollte. 50 Millionen Euro flossen an Schelsky, eher Peanuts im riesigen Schwarzgeldtopf. Indes lehrt diese Geschichte, wie skrupellos Unternehmen zu agieren vermögen. Nun sind Machtkämpfe zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften kein Fall für die Justiz. So wurde denn Schelsky auch wegen Untreuedelikten zu Lasten von Siemens zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, Ex-Vorständler Johannes Feldmayer zu zwei Jahren auf Bewährung.
Schelsky, ein kleiner Fisch im Korruptionssumpf, traf es bisher am härtesten. Verurteilte Manager erhielten Bewährungs- und Geldstrafen. Einstige Spitzenleute wie von Pierer oder Klaus Kleinfeld sind bislang "nur schuldig im Sinne der Annahme", so die Autoren süffisant. Ob die Schadensersatzansprüche der neuen Führung um Peter Löscher und Gerhard Cromme gegen sie und andere Ex-Bosse greifen werden, ist offen. Für den Konzern selbst ist die Affäre nach einer auf die USA und Deutschland aufgeteilten Strafzahlung von einer Milliarde Euro abgeschlossen.
So trefflich Volz und Rommerskirchen die Analyse der Affäre gelingt, so dünn kommen ihre Überlegungen zu Konsequenzen daher. Im Grunde fällt den Verfassern neben ethischen Ermahnungen nicht viel anderes ein als die übliche Forderung nach einem möglichst drakonischen Straf- und Kontrollsystem. Dass dies mit einem am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientierten liberalen Rechtsstaat schwerlich zu vereinbaren ist, scheint die Autoren nicht zu interessieren. Sie begeistern sich für die Bahn und deren Korruptionsbekämpfer Wolfgang Schaupensteiner, einen Ex-Staatsanwalt: Dort würden "Sheriffs" in allen Geschäftsfeldern "über Recht und Ordnung wachen". Die Folge des Null-Toleranz-Regimes: Zehntausende von Beschäftigten wurden unter Generalverdacht gestellt und überwacht.
Die strafrechtliche Ausbeute im Siemens-Skandal ist recht dürftig. Vermutlich steuert die politische Diskussion über kapitalistisches Wirtschaften und hemmungsloses Profitstreben erheblich mehr zur Eindämmung der Korruption bei. Zu einer solchen Aufklärung kann auch dieses Buch einen Beitrag leisten.
Die Spur des Geldes. Der Fall des Hauses Siemens.
Aufbau-Verlag, Berlin 2009; 223 S., 16,95 ¤