Finanzwelt
David Marsh erzählt die Geschichte der europäischen Einheitswährung - leider nicht für alle
Seit zehn Jahren gibt es den Euro. Zeit, eine erste Bilanz dieses europäischen Großprojekts zu ziehen, das mit elf Teilnehmerstaaten begann. Inzwischen ist der Euro Zahlungsmittel in 22 europäischen Staaten, darunter 16 Mitgliedsländer der Europäischen Union.
David Marsh, renommierter britischer Wirtschaftsjournalist und viele Jahre Korrespondent der "Financial Times" in Deutschland, hat seine persönliche Euro-Bilanz mit einer Geschichte des Euro verknüpft, ja mit der "geheimen Geschichte der neuen Weltwährung", wie es etwas großspurig im Untertitel heißt. Eine solche Ankündigung weckt Erwartungen. Gibt es eine solche geheime Geschichte, die sich hinter der "offiziellen" Geschichte verbirgt?
Wenn es sie gibt, dann hat David Marsh sie nicht geschrieben. Das Buch ist zwar im weitesten Sinne eine Geschichte des Euro, eigentlich aber eine Geschichte der Währungspolitik in Europa. Der Autor holt gerade in den ersten Kapiteln weit aus, greift tief ins vorletzte Jahrhundert zurück, zeigt Entwicklungslinien, auch historisch gewachsene Rivalitäten und unterschiedliche Denkschulen in der Währungspolitik zwischen den Hauptakteuren Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf.
Das alles mündet in den Maastrichter Vertrag von 1991, als die EU-Regierungschefs einen verbindlichen Zeitplan für die Schaffung der gemeinsamen Währung beschlossen. Vorausgegangen waren in den 1970er und 80er Jahren währungspolitische Scharmützel vor allem wegen des stetig wachsenden Einflusses der Deutschen Bundesbank. Zeitweilig war deren Präsident Karl Otto Pöhl in London und Paris der bekannteste und gefürchtetste Deutsche.
David Marsh geht sehr detailliert auf diese Vorgeschichte des Euro ein und widmet den deutsch-französischen Führungsduos Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing sowie Helmut Kohl und François Mitterrand breiten Raum. Was dazu führt, dass die Nach-Maastricht-Ära erst auf Seite 209 von insgesamt 352 Textseiten beginnt. Weniger als die Hälfte des Buches beschäftigt sich also mit der Euro-Geschichte im engeren Sinne. Dies mag damit zu tun haben, dass David Marsh eine sechs Seiten lange Liste von hochkarätigen Gesprächspartnern präsentiert, die ihm für Hintergrundgespräche zur Verfügung standen, darunter Schmidt, Kohl und Giscard d'Estaing, deren Aussagen sich zum großen Teil auf die Vor-Euro-Zeit bezogen haben dürften. Mehr als von diesem imposanten Namensregister hätte der Leser allerdings von einem Glossar währungspolitischer Fachbegriffe gehabt.
Marsh schreibt im Sprachduktus des Wirtschaftsjournalisten und betont ausdrücklich, auch Nichtfachleute ansprechen zu wollen. Doch das gelingt häufig nicht, wenn etwa unkommentiert von Kreditfazilitäten, vom Lombardsatz, vom gemeinsamen Floaten der Währungsschlange oder vom Realignment die Rede ist.
Auch wundert man sich, dass angesichts der Fülle von Hintergrundgesprächen mit beteiligten Akteuren nicht mehr herausgekommen ist. Zwar werden die vielen Konferenzen von Politikern und Notenbankern nicht nur referiert, sondern auch kommentiert. Manchmal leistet sich Marsh trotz seines technokratisch unterkühlten Erzählstils sogar einen Schuss Emotionalität. Doch Verblüffungseffekte oder gar Aha-Erlebnisse gibt es kaum. Kann es daran liegen, dass ihm seine Gesprächspartner die "geheime" Geschichte des Euro verschwiegen haben?
So hofft man, vom Autor Erhellendes über die Zukunft des Euro zu erfahren. Die letzten Kapitel sind die lesenswertesten, weil Marsh hier nicht nur nacherzählt, sondern analysiert. Von Frankreich und Deutschland fordert er Führungsstärke, aber auch Solidarität. Es gebe keine Gewissheit, dass die Einheitswährung die nächsten zehn Jahre unversehrt überdauern wird. Noch kenne die Währungsunion weder Sieger noch Besiegte, heißt es sybillinisch, in den nächsten Jahren werde es aber die einen wie die anderen geben.
Marshs "Euro" ist ein mit viel Fleiß, Akribie und Sachkunde geschriebenes Buch, das ein Standardwerk zur Währungspolitik der vergangenen 40 Jahre werden kann. 50 Seiten Anmerkungen und 15 Seiten Literaturverzeichnis geben ihm einen wissenschaftlichen Anstrich. Politisch Interessierte, vor allem jene, die die Entwicklung seit den 1970er Jahren selbst miterlebt haben, werden das Buch mit Gewinn lesen, weil es vieles in Erinnerung ruft und manche Wissenslücke ergänzt.
Auf der anderen Seite ist es Marsh nicht gelungen, wenn er dies denn wollte, dem Volk, all denen, die diesen Euro jeden Tag in die Hand nehmen und ausgeben, die Geschichte dieser Währung zu erzählen. Der Autor vermittelt vielmehr den Eindruck, dass er sein Buch für seinesgleichen, für die Funktionseliten geschrieben hat - dem verkaufsfördernden Titel zum Trotz. Und Marsh tut dies auch nicht frei von Eitelkeit: "Wer könnte eine bessere Chance haben, ein annähernd zutreffendes Bild zusammenzufügen, als jemand wie ich, der in keiner Weise in die dargestellten Ereignisse verwickelt war und in direkter Form nicht von ihnen betroffen ist."
Schade ist, dass er damit jüngere Leser kaum ansprechen dürfte, vor allem jene nicht, die mit dem Euro groß geworden sind. Nicht weil der Euro kein Thema für Jugendliche oder junge Erwachsene wäre, sondern weil die Geschichte nicht packend und auch nicht verständlich genug erzählt ist. Eine solche geheime Geschichte des Euro müsste noch geschrieben werden.
Der Euro. Die geheime Geschichte der neuen Weltwährung.
Murmann Verlag, Hamburg 2009; 438 S., 38 ¤