KRANKENVERSICHERUNG
Sachverständige lehnen steuerliche Gegenfinanzierung ab
Die eine Hand gibt, die andere nimmt: Unter diesem Stichwort läuft gegenwärtig die Debatte über das "Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung" ( 16/12254). Veranlasst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts greift die große Koalition zum Füllhorn und will von 2010 an rund 9,3 Milliarden Euro pro Jahr an die Bürger ausschütten. Die Beiträge zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung - egal ob gesetzlich oder privat - sollen in voller Höhe bei der Steuer als Sonderausgaben abgezogen werden können. Grundsätzlich gilt: Wer hohe Beiträge zahlt wie privat versicherte Selbstständige, kann mit hohen Entlastungen rechnen, Kassenversicherte mit niedrigem Beitrag werden kaum etwas vom Bürgerentlastungsgesetz merken (siehe Kasten).
Doch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hätte seine haushalterische Natur verleugnet, wenn er nicht an anderer Stelle des Gesetzentwurfs eine Kompensation eingebaut hätte. Und die sieht so aus: Beiträge zur Arbeitslosen-, Berufsunfähigkeits-, Unfall und Haftpflichtversicherung sollen in Zukunft nicht mehr als Sonderausgaben in die Steuererklärung hineingeschrieben werden können. Auf diese Weise, so ist jedenfalls im Bundesrat errechnet worden, spart Steinbrück schnell 3 Milliarden von den 9,3 Milliarden Euro wieder ein. "Ich sehe beim Thema Gegenfinanzierung noch Diskussionsbedarf", sagte der baden-württembergische Bundesratsminister Wolfgang Reinhart (CDU).
Die Debatte über den Entwurf ist im vollen Gange, aber mit einer Schieflage: Gesprochen wird kaum noch über die Entlastung, sondern nur noch über die neuen Belastungen. Die Deutsche Steuergewerkschaft weiß warum: Die Steuerzahler seien im Bereich der Sonderausgaben "unerbittlich" - so wie sie es auch bei der Pendlerpauschale und den Steuerberatungskosten gewesen seien. Befürchtet wird "größter Ärger in den Finanzämtern".
Bei einer Anhörung zu dem Entwurf im Finanzausschuss des Bundestages am 22. April befassten sich die meisten Experten auch sehr kritisch mit den geplanten Einschränkungen beim Sonderausgabenabzug. Für den Deutschen Steuerberaterverband stellte sich die Frage, ob die Streichung des Sonderausgabenabzugs für die Unfall-, Berufsunfähigkeits-, Haftpflicht- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Freistellung des Existenzminimums zu vereinbaren sei. Die vorgesehene Günstigerprüfung, bei der das Finanzamt prüfen muss, ob die alte oder die neue Rechtslage bei der Absetzbarkeit dieser Sonderausgaben für den Steuerzahler günstiger ist, bezeichnete der Steuerberaterverband als "äußerst kompliziert".
Der Bund der Steuerzahler kritisierte, dass der Gesetzgeber wie so oft erst auf Druck der Gerichte tätig geworden sei. Man unterstütze die Forderung des Bundesrates, auch den Sonderausgabenzug von privaten Steuerberatungskosten wieder zuzulassen. Weiter erklärte die Organisation, es wäre besser gewesen, die Beitragszahler bereits früher als von 2010 an steuerlich zu entlasten. Das wäre ein wirksamer Beitrag für ein Konjunkturprogramm gewesen.
Die Steuergewerkschaft bezeichnete die verbesserte Abzugsmöglichkeit von Krankenversicherungsbeiträgen als "teurere und kompliziertere Variante". Es wäre besser und billiger gewesen, den Grundfreibetrag zu erhöhen. Der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine vertrat die Ansicht, rein fiskalische Gründe hätten zur Ausgrenzung der Beiträge zur Haftpflicht-, Unfall-, Berufsunfähigkeits- und Arbeitslosenversicherung geführt. Das sei "verfassungsrechtlich höchst problematisch". Allerdings wiesen mehrere Sachverständige darauf hin, dass sich nach heutiger Rechtslage die Beiträge zu diesen Versicherungen in vielen Fällen nicht auswirken würden, da mit den Sozialversicherungsbeiträgen die Höchstgrenzen bereits überschritten seien. Ein Abzug dieser Versicherungsbeiträge in voller Höhe könnte Steinbrück nicht mehr verkraften: Er müsste, so ist aus der Koalition zu hören, Mindereinnahmen von 20 Milliarden Euro pro Jahr schultern.