EU-MITGLIEDSTAATEN
In Europa entscheiden nach der Wahl immer häufiger politische Randgruppen bei der EU-Politik mit
Die "Britische Nationalpartei" (BNP) akzeptiert nur Weiße als Mitglieder und hetzt offen gegen muslimische Einwanderer. Die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens würde sie am liebsten aufkündigen. Doch da das nicht leicht zu bewerkstelligen ist, mischt sie jetzt in der Straßburger Europapolitik mit: Bei den Europawahlen vom 4. bis 7. Juni gewann die rechtsradikale Partei aus dem Stand zwei Sitze im Parlament.
Die Pressekonferenz nach der Wahl gelang zwar nicht so triumphal wie geplant. Parteichef Nick Griffin wurde in London von Demonstranten mit Eiern beworfen und ergriff im Auto die Flucht. Doch spätestens im Juli wird er wieder auf der medialen Bildfläche erscheinen: Dann tritt das neue Europaparlament zusammen - und Griffin selbst wird einen der britischen Sitze übernehmen.
Der Inselstaat ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt: Die Europawahl ist in weiten Teilen eine Denkzettel- und Protestwahl. Viele Bürger gingen an die Urnen, um ihre nationalen Regierungen abzustrafen. Andere verzichteten aus eben diesem Grund auf ihr Stimmrecht und spielten damit Extremisten und bizarren Randgruppen in die Hände. Die BNP etwa erhielt unterm Strich sogar weniger Stimmen als 2004. Doch die allgemeine Wahlmüdigkeit der Briten führte zu einem faktischen Rechtsruck. Europaweit lag die Wahlbeteiligung laut vorläufigem Ergebnis bei nur 43,2 Prozent - ein historisches Tief.
Der britische Premierminister Gordon Brown, von Spesenskandalen und Ministerrücktritten gebeutelt, brachte seiner Labour-Partei ihr schlechtestes Stimmergebnis seit dem Ersten Weltkrieg ein. Mit 15,3 Prozent landete Labour auf dem dritten Platz. Davor lagen die Konservativen um David Cameron (27 Prozent) sowie die rechtsgerichtete und europafeindliche Partei UKIP (16,1 Prozent).
Auch der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero musste mit seinen Sozialisten einen Dämpfer hinnehmen. Mit seinen 38,5 Prozent sah er die oppositionelle konservative Volkspartei an sich vorbeiziehen. Letztere errang 42,2 Prozent und gewann damit erstmals seit dem Jahr 2000 eine landesweite Wahl.
Noch schlechter erging es Portugals Ministerpräsidenten José Socrates. Seine sozialistische Partei musste sich mit 26,6 Prozent zufrieden geben. Unerwarteter Sieger wurde die bürgerliche Sozialdemokratische Partei (PSD) mit 31,7 Prozent.
"Eines der bemerkenswertesten Wahlergebnisse gab es in den Niederlanden", sagt der britische Extremismus-Experte und Journalist Graeme Atkinson. Hier errang der Islamkritiker Geert Wilders mit seiner "Freiheitspartei" satte 17 Prozent der Stimmen und damit vier Sitze. Die regierende Christdemokratische Allianz (CDA) wurde von den Wählern mit 19,9 Prozent abgestraft. Die Freiheitspartei wäre somit potenzieller Bestandteil einer neuen rechtsradikalen Parlamentsfraktion - allerdings lässt sich der Salon-Rechte Wilders nicht gern mit Schmuddel-Radikalen etwa aus Großbritannien in eine Ecke stellen.
Triumphieren konnte die Regierung dagegen in Frankreich. Präsident Nicolas Sarkozy erreichte mit seiner konservativen UMP 27,8 Prozent; die Sozialisten in der Opposition mussten sich mit 16,5 Prozent zufrieden geben. Freudentänze führten die Grünen um den Deutsch-Franzosen Daniel Cohn-Bendit auf. Sie errangen mit 16,3 Prozent deutlich mehr Stimmen als vorhergesagt. Die rechtsradikale "Front National" um Jean Marie Le Pen büßte vier ihrer bisher sieben Sitze ein.
Auch dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi verging das Lächeln nicht. Mit seiner Parteien-Neugründung "Volk der Freiheit" (PdL) gewann er 35,6 Prozent. Zwar hatte er sich mehr erwartet, es reichte aber deutlich für den ersten Platz. Deutlich zulegen konnte dagegen Berlusconis Koalitionspartner, die rechtsgerichtete "Lega Nord". Sie kam auf 10,2 Prozent der Stimmen.
In Schweden hielt die "Piratenpartei" medienwirksam ihr Versprechen ein: Die bunte Gruppierung, die für kostenlose Internet-Downloads wirbt, gewann 7,1 Prozent und damit einen Sitz in Straßburg. Sieger wurden die oppositionellen Sozialdemokraten mit 24,6 Prozent. Die regierende "Moderate Sammlungspartei" um Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt konnte nur leicht zulegen und errang 18,8 Prozent.
Triumphe der Europa-Skeptiker gab es in Österreich, wo der Ex-Journalist Hans-Peter Martin mit 17,7 Prozent dritte Kraft wurde. Der frühere Enthüllungsreporter hatte den Wählern mehr Transparenz im EU-Betrieb versprochen. Die Sozialdemokraten von Regierungschef Werner Faymann gewannen nur 23,8 Prozent der Stimmen. Die rechtsradikale FPÖ konnte sich auf 12,8 Prozent steigern. Sieger wurde die konservative ÖVP mit 30 Prozent. Auch in Osteuropa wurden etliche Regierungen abgestraft.
Einen klaren Sieg verbuchte allerdings die Regierungspartei Polens: Die liberale Bürgerplattform PO von Ministerpräsident Donald Tusk strich satte 44,4 Prozent der Stimmen ein. Die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Staatschef Lech Kaczynski landete mit 27,4 Prozent abgeschlagen auf dem zweiten Platz. In Tschechien drehte sich der politische Wind einmal mehr: Die konservativ-liberale ODS, deren Parteichef Mirek Topolanek erst vor kurzem als Premier gestürzt worden war, gewann mit 31,5 Prozent. Erfolglos blieben dagegen die euroskeptischen Kleinparteien, die von Präsident Vaclav Klaus und dessen scharfer Kritik am Lissabon-Vertrag inspiriert worden waren. Zu ihnen gehörte auch der tschechische Ableger der Libertas-Partei, die von dem Iren Declan Ganley gegründet worden war.