EUROPA
In der Union stehen große Veränderungen an. Fraglich bleibt aber unter welchen Vorzeichen
Während manche Partei noch ihr Ergebnis bei den Europawahlen am 7. Juni verdauen muss, steht bereits das nächste europäische Großereignis vor der Tür: der Rat der Staats- und Regierungschefs am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel.
Dabei hängen derzeit - einem Damoklesschwert gleich - über allen Wahlen, über Gipfeltreffen und Regierungserklärungen zwei entscheidende Fragen: Wie erfolgreich kann Europa seine 500 Millionen Bürger aus der Krise zu führen? Und wie geht es mit Union, ihrer Führungsmannschaft und ihren Institutionen weiter?
Die Antworten darauf stehen aus, für manche von ihnen wird es noch quälend lange Monate brauchen. Dabei stand die Union nie zuvor in ihrer 52-jährigen Geschichte vor so großen Herausforderungen, deren Bewältigung letztlich die Legitimierung des Projekts EU bedeutet. Darum weiß auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der am 18. Juni vor Beginn der Brüsseler Konsultationen im Bundestag eine Regierungserklärung zu Europa abgeben wird.
Vor drei Monaten hatten die Staats- und Regierungschefs darüber zu entscheiden, wie sie ein geplantes EU-Hilfspaket in Höhe von fünf Milliarden Euro verteilen wollten - zusätzlich zu den insgesamt 400 Milliarden Euro, welche die 27 EU-Länder ohnehin schon als direkte und indirekte Konjunkturhilfen in die Wirtschaft pumpen. Berlin drang seinerzeit erfolgreich darauf, nur solchen Maßnahmen grünes Licht zu geben, die 2009 und 2010 bereits Konjunkturimpulse verzeichnen würden. Am 18. und 19. Juni steht nun eine erste Zwischenbilanz an, was die EU-Kommission konkret auf den Weg bringen konnte.
Aber beim Juni-Rat stehen noch andere Themen auf der Agenda, deren Debatte Zündstoff birgt. Zum einen der Plan der EU-Kommission, eine zentralisierte Finanzmarktaufsicht einzurichten. Schon mit Beginn der Krise waren sich Europas Führungen einig gewesen, unkontrollierten Auswüchsen der Branche einen Riegel vorzuschieben, damit sich Milliardenpleiten - und die Steuerzahler auf Jahrzehnte belastende Rettungsaktionen - nicht wiederholen können.
Doch wie viel Macht darf eine solche neue EU-Aufsicht gegenüber den nationalen Kontrolleuren besitzen? Genau daran scheiden sich die Geister von EU-Schwergewichten wie Deutschland und Frankreich auf der einen und Großbritannien auf der anderen Seite. Zwar hatten schon die G-20-Staaten erste Maßnahmen beschlossen. Doch diese fielen, das ist der britischen Regierung bewusst, auf Grund der US-amerikanischen Präsenz vergleichsweise weich aus. London, das ohnehin in einer schweren Regierungskrise steckt, will durch eine stärkere EU-Regulierung nicht auch noch seinen führenden Rang als internationaler Finanzplatz gefährden.
Die an das Mittelmeer angrenzenden EU-Staaten wollen zudem ein anderes Thema auf die Tagesordnung heben, das zwar nur indirekt mit der Krise zu tun hat, diese aber für die Betroffenen noch schwieriger macht: der Zustrom illegaler Flüchtlinge aus Afrika, der in den kommenden Sommermonaten voraussichtlich noch gravierender wird. Sie fordern Solidarität von den EU-Partnern und die Aufnahme von Asylsuchenden. Wie weit die Bereitschaft zur Hilfe in schwierigen Zeiten reicht, ist unklar.
Und dann wäre da noch eine Personalie, welche seit Wochen die Schlagzeilen bestimmt: Die Wiederwahl von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Zwar sichert der Sieg des konservativen Lagers bei den Europawahlen dem Portugiesen gute Chancen, von den Staats- und Regierungschefs für eine zweite Amtszeit nominiert zu werden. Aber Barrosos Gegner stehen bereits in den Startlöchern, um dem Konservativen bei seiner Bestätigung durch das EU-Parlament am 15. Juli einen Strich durch die Rechnung zu machen. Auch wenn die Chancen dafür rein rechnerisch schlecht stehen: Der laute Krach um die Personalie Barroso zeigt den Riss, der durch Europa geht - ausgerechnet in Zeiten der Krise.
Und gerade jetzt steckt auch das große Reformprojekt des Lissabon-Vertrages weiter fest. Zwar sieht es derzeit so aus, als könnte der EU-Reformvertrag bei einem wahrscheinlich im Oktober stattfindenden zweiten Referendum in Irland nun eine knappe Mehrheit bekommen. Doch es gibt noch eine Reihe weiterer Unwägbarkeiten, die Europas Stimmung im Krisensommer 2009 prägen.
Wenn aber die europäischen Politiker schon keine Einigung erzielen, wie sollen dann erst die Bürger ihnen einen Vertrauensvorschuss gewähren? Dass dazu die Bereitschaft gering ist, das hat der Rekordnegativwert von 43 Prozent Wahlbeteiligung am 7. Juni klargemacht.