Wir erleben die letzten NS-Prozesse. Diese letzten NS-Prozesse sind furchtbar: nicht deswegen, weil die Nazi-Schergen heute so furchtbar alt sind, sondern deswegen, weil die deutsche Strafjustiz gestern und vorgestern so furchtbar säumig und so furchtbar nachsichtig war. Ist nun also das Verfahren gegen den alten Demjanjuk, das am 30. Novermber in München beginnen soll, ein Versuch, die alten Versäumnisse der Justiz auszugleichen? Wenn es so wäre, wäre das ein untauglicher Versuch. Die Schuld der Nachkriegszeit lässt sich nicht mehr tilgen.
Aber: Die Justiz von heute kann wenigstens die Schuld der Demjanjuks noch feststellen. Nur darum geht es in diesen Strafprozessen, um die Schuld an tausendfachem Mord. Aber dabei gilt: Die Monstrosität der Nazi-Verbrechen erspart nicht die Penibilität der Beweisführung.
Die Demjanjuks haben ein beschauliches bürgerliches Leben unverdient fast bis zu Ende leben dürfen. Den Mordtaten, mit denen sie ihr Leben als Erwachsene begonnen haben, müssen sie sich nun ganz am Ende dieses Lebens wieder stellen. Strafe erreicht diese Leute nicht mehr, Sühne greift nicht mehr. Die Strafe gegen Demjanjuk dient also, so seine Täterschaft bewiesen wird, einzig und allein dazu, grauenvolles Unrecht als solches zu benennen. Darauf haben die Opfer einen Anspruch. Einen Schuldspruch zu fällen gegen einen Schuldigen ist Pflicht des Richters: Mord verjährt nicht, die Wahrheit auch nicht. Und so ist der Prozess nicht nur ein Prozess gegen einen Greis, sondern ein Prozess um die Wahrheit. Muss man also einen Greis ins Gefängnis sperren? Nein, das muss man nicht. Aber man muss ihn, wenn er Täter war, verurteilen. Mag einem alten Mann Haft nicht mehr zumutbar sein - die Wahrheit ist es schon.