RUANDA
Dem Völkermord vor 15 Jahren fielen einst eine Million Menschen zum Opfer. Ein Radioprojekt kämpft gegen
alte Vorurteile und versucht, Opfer und Täter miteinander zu versöhnen
Im Redaktionsraum von Radio Heza hält Furaha Hakizimana die Hände über die Kopfhörer auf ihren Ohren. Die 23-Jährige hört sich ein Interview an, das sie am Morgen mit Jugendlichen zum Thema "Die Zukunft Ruandas" geführt hat. Draußen auf dem Sportplatz schreien die Anhänger zweier Fußballteams, im Haus gegenüber übt eine Band ihre Lieder, Schulkinder spielen im Innenhof. Das Jugendzentrum von Kimisagara in Ruandas Hauptstadt Kigali ist am Nachmittag ein lauter Ort. Furaha Hakizimana kennt es nicht anders. Sie ist seit einem Jahr Mitarbeiterin von Radio Heza. Eine von 20 jungen Männern und Frauen, die mit einem Radioprogramm von Jugendlichen für Jugendliche zum Versöhnungsprozess in Ruanda beitragen wollen. "Ich habe großes Vertrauen, dass die Jugend zu einem lang anhaltenden Frieden in Ruanda beitragen kann", erklärt die junge Frau.
Heza bedeutet guter Ort und der Name steht für die Vision, den Namen des kleinen ostafrikanischen Landes nicht mehr allein mit dem Völkermord in Verbindung zu bringen, dem von April bis Juni 1994 rund eine Million Menschen, vor allem die Minderheit der Tutsi, aber auch oppositionelle Hutu zumOpfer fielen. Als die Rebellenarmee des heutigen Präsidenten Paul Kagame im Juni 1994 das Morden der Hutu stoppte, lag das Land in Trümmern, säumten Leichenberge die Straßen und die Überlebenden waren schwer traumatisiert. Seither herrscht dort ein instabiler Frieden. Die in den Kongo geflohenen Völkermörder bedrohen das Land von außen, Armut, Unterernährung und ungeklärte Schuldfragen sind die Feinde im Inneren. Opfer und Täter leben oft Tür an Tür, Misstrauen erschwert das Zusammenleben.
Das weiß auch Furaha Hakizimana. Sie kam vor einem Jahr ins Team von Radio Heza, das vom Deutschen Entwicklungsdienst (DED) finanziert wird und seit Januar 2008 jede Woche 30 Minuten lang in der Landessprache Kinyarwanda sendet. "Ich hatte bereits bei der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit einen Kurs in Friedensjournalismus belegt. Deshalb war ich von der Idee, über Frieden im Radio zu reden - und zwar von Jugendlichen für Jugendliche - begeistert", erzählt die Jungredakteurin.
Einige der Redakteure haben eine journalistische Vorbildung und hatten einfach Lust, Radio zu machen. Andere wollten ihren Beitrag zur Versöhnung leisten. Manche sind Hutu, andere Tutsi - auch wenn sie sich dazu nicht bekennen würden. Und auch nicht dürfen. Seit dem Völkermord ist es per Regierungserlass verboten - außer im Zusammenhang mit dem Genozid - von Hutu und Tutsi zu sprechen. Alle Bewohner des Landes sind Ruander. Soweit die Ideologie. Im Alltag angekommen ist das aber auch nach 15 Jahren noch nicht. Hutu umgeben sich noch immer mit Hutu und Tutsi mit Tutsi, erzählt der DED-Mitarbeiter Andreas Wagner, der Hezas Aufbau begleitet und die Redaktion seit der ersten Sendung unterstützt hat. "Als wir unser Projekt starteten, waren wir wirklich erstaunt, wie wenig die einen von den anderen wussten. Die Tutsi fühlen sich als Opfer, denen bis heute die entsprechende Kompensation ihres Leides verwehrt wurde. Jene, die den Hutus angehören, dachten wirklich, die Tutsi leben in Saus und Braus. Unser Anliegen war und ist es, solche Vorurteile zu entkräften." Dass dies gelingen kann, davon ist auch Hezas Redaktionsleiter Cadeau Gasana überzeugt. Seine Familie gehörte zu den Opfern des Völkermords. Er glaubt nicht, dass sich in Ruanda wiederholen kann, was 1994 geschah. Die Autoritätsgläubigkeit sei dahin. "Meine Generation ist schon viel weiter, als es unsere Eltern waren. Wir sind aufgeklärter, wir glauben nicht mehr einfach, was man uns erzählt."
Am Anfang zweifelten Wagner und sein Team, ob gerade ein Radioprogramm bei der Jugend Gehör finden würde, bei jener Altersgruppe, die noch vor 15 Jahren mit Macheten und Knüppeln bewaffnet auf Menschenjagd ging. Zu lebendig schien die Erinnerung an die Tage des Senders Radio Télévision Libre des Mille Collines (RTLM), der 1994 zum Mord aufrief und seine Hörer anstachelte, die "Kakerlaken", wie man die Tutsis dort bezeichnete, "auszurotten". Doch das Konzept von Radio Heza, die Jugendlichen über Beiträge und Meinungen ihrer eigenen Altersgruppe zu erreichen, ging auf, das Radioprojekt wurde angenommen. "Mittlerweile erreicht das Programm zwei Millionen potenzielle Hörer und das nicht nur in Ruanda, sondern sogar in den Grenzgebieten der Nachbarländer", sagt Wagner. Man lasse, sagt er, auch die Täter zu Wort kommen. "Die Kinder der Mörder leiden unter dieser Vergangenheit, aber sie können darüber nicht reden. Weil sie sich schämen und weil sie glauben, sie hätten dazu kein Recht. Wir haben sie zu Wort kommen lassen und erkannt, dass wir alle Opfer der Vergangenheit sind. Aus der Erkenntnis des gemeinsamen Leidens lassen sich Gemeinsamkeiten schaffen."
Es gibt viele Projekte in Ruanda, die sich einem "Nie wieder" verschrieben haben, das in Ruanda allerdings manchmal wie eine Drohung klingt. Jedes Jahr wird des Beginns des Völkermords gedacht. Landesweit gibt es Erinnerungsstätten, in denen man die blutbefleckte Kleidung der Opfer, deren Schädel und Gebeine sehen kann. So ungeschminkt grausam ist die museale und auch literarische Verarbeitung, dass selbst die Opferverbände inzwischen mehr Distanz fordern.
Radio Hezas Ansatz, mit der Geschichte umzugehen, ist ein anderer. Der Schwerpunkt liegt auf dem Blick nach vorne, auf dem Blick nach Alternativen. "Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel in mehreren Sendungen Friedensmacher wie Nelson Mandela, Bob Marley, Martin Luther King und Gandhi vorgestellt und über ihre Arbeit geredet", erzählt Gasana. Der Völkermord und seine Folgen sind aber auch immer wieder Thema der Sendungen. "Wenn wir heiße Themen ansprechen, gibt es ziemlich wenig Reaktionen. Das liegt an der Kultur und an unserer Geschichte. Die Leute reagieren verschlossen, wenn wir so etwas ansprechen. Zur Zeit zum Beispiel beschäftigen wir uns mit der Frage, wie es weitergehen soll nach dem Ende der ruandischen Gacaca-Gerichte, die Prozesse gegen mehr als 120.000 Täter führten. Und da sind die Hörer sehr zurückhaltend in ihren Reaktionen", berichtet Hakizimana.
Hezas Programm ist aber nicht nur politisch, sagt Hakizimana. Zumindest soll nicht alles in einem strengen Informationsformat daher kommen. "Es soll auch cool sein, weil Jugendliche eben coole Sachen mögen." Wie die Seifenoper Mu Twiza, zu deutsch: "Mein Dorf". Sie steht stellvertretend für Radio Hezas Botschaft. Es ist eine Geschichte, die in einem typischen Dorf in Ruanda spielt, in dem zwei Volksgruppen leben und die Älteren die Jugendlichen mit ihren Vorurteilen zu manipulieren versuchen. "Im Grunde spiegelt dieses Dorf Ruanda wieder", erzählt Hakizimana. Die Enge des Dorfes, die den Jugendlichen keinen Platz lässt, ihre Anliegen auszudrücken. "Diese Freiheit gibt Ihnen Radio Heza. Genau da liegt unsere Stärke."
Die Autorin ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Entwicklungszusammenarbeit.