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Eine strafrechtliche Verfolgung macht Frieden überhaupt erst möglich
Obwohl das Völkerrecht mittlerweile eine Pflicht zur Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen vorschreibt, wird bis heute nur ein Bruchteil der Verbrechen, die als Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gelten, tatsächlich auch geahndet. Das römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (enthält dieses Prinzip in seiner Präambel und macht damit deutlich: Es handelt sich um anerkanntes Völkergewohnheitsrecht. Und die Vereinbarung von Amnestien für jene, die an Völkerrechtsverbrechen beteiligt oder für sie verantwortlich waren, ist völkerrechtswidrig.
Diese Entwicklung gilt es in der aktuellen Diskussion um das Verhältnis zwischen Aufklärung und Aufarbeitung schwerster Verbrechen einerseits und der These, Amnestien seien ein legitimes und effektives Mittel der Konfliktbeendigung andererseits, zu berücksichtigen. In dieser Diskussion sollten diejenigen, die leichtfertig über das Postulat der Strafverfolgung hinweggehen oder dieses sogar als hinderlich für die friedliche Streitbeilegung zwischen militärisch agierenden Konfliktparteien rügen, insbesondere auch die historischen Erfahrungen näher betrachten, die uns vor Augen führen, dass es gerade die Strafverfolgung gepaart mit anderen Mitteln der Aufarbeitung ist, die den Frieden in vielen Staaten überhaupt erst möglich und nachhaltig gemacht hat.
Besonders prägnante Beispiele hierfür sind das ehemalige Jugoslawien und Sierra Leone. In beiden Fällen wurde der Frieden erst möglich, nachdem die internatonale Gemeinschaft geeignete Institutionen zur Strafverfolgung errichtete und mutige Staatsanwälte Hauptkriegstreiber wie Charles Taylor und Slobodan Milosevic anklagten. Diese Anklagen leiteten das politische Ende derjenigen ein, die zwar militärisch bereits unterlegen waren, von ihren Herrschaftsplänen jedoch nicht gedachten abzuweichen. Sie offenbarten deren Beteiligung an den Verbrechen, entmystifizierten und stigmatisierten sie damit. Viele Diplomaten hatten befürchtet, dass die Anklage gegen Milosevic, die 1999 mitten im Kosovo-Krieg verkündet wurde, den Konflikt verschärfen und einen Friedensvertrag erschweren würde. Das Gegenteil war der Fall.
Nur wenige Wochen später wurde ein Abkommen zur Beilegung des Konfliktes geschlossen, ohne dass die Anklage thematisiert wurde. Ein Jahr später verlor Milosevic die Wahl, wurde verhaftet und im Sommer 2001 nach Den Haag ausgeliefert.
Hinsichtlich Charles Taylor befürchteten die überwiegende Anzahl der an den Friedensverhandlungen beteiligten Diplomaten ebenfalls, dass ein Haftbefehl die Friedensverhandlungen torpedieren und damit den Konflikt nur verlängern würde. Dabei übersahen sie jedoch, dass Taylor bereits an vier Verhandlungsrunden teilgenommen hatte, ohne dass er nennenswert zum Frieden in Sierra Leone und Liberia beigetragen hatte. Erst nachdem er angeklagt und zur Auslieferung ausgeschrieben, seine Konten gesperrt und seine Taten aufgedeckt wurden, begann sein politischer Abstieg und der Frieden wurde möglich. Auch die aktuelle Lage im Sudan offenbart, dass diejenigen, die einer konsequente Ahndung von Kriegsverbrechen und anderen Formen der Aggression skeptisch gegenüber stehen, zu kurzfristig denken. Die Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzungen im Sudan zeigt, dass diejenigen, die heute an den Verbrechen in Darfur beteiligt sind, bereits an den schweren Auseinandersetzungen im Süden des Landes mitgewirkt haben. Wie in Darfur setzte die Regierung im Südsudan Milizen gegen Zivilisten ein.
Der Mangel an internationalem Druck, diese Verbrechen zu ahnden, mag die Verantwortlichen in Khartum darin bestärkt haben, diese Taktik auch in Darfur fortzusetzen. Der Sicherheitsrat ermahnte die Konfliktparteien im Südsudan nie hinreichend, von den Verbrechen an der Zivilbevölkerung abzulassen, und auch das unter internationaler Beteiligung errungene Friedensabkommen enthielt keine Klausel zur Aufarbeitung. Hier setzen die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs - insbesondere der gegen den Präsidenten des Sudan, Omar al-Bashir - erstmals ein entscheidendes Zeichen. Bashir ließ zwar aus Teilen der Provinz humanitäre Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" ausweisen, eine neue Militäroffensive oder stärkere Destabilisierungen erfolgten jedoch nicht.
Wie bei Milosevic und Taylor steht nun zu hoffen, dass der Haftbefehl der Anfang vom politischen Niedergang des sudanesischen Präsidenten sein wird.
Die Autorin ist Staatsanwältin am
Landgericht Berlin und leitet die Amnesty International Ko-Gruppe gegen Straflosigkeit.