AUSTRALIEN
Nach und nach erhalten die Aborigines
Rechte an dem Land zurück, das sie ursprünglich besiedelten
Jede politisch korrekte Veranstaltung in Sydney - ob Filmfest oder Parlamentsrede - beginnt derzeit mit dem Satz "Ich anerkenne das Gadigal-Volk als traditionelle Besitzer im Land der Eora-Nation …" . Erst dann geht man zur Tagesordnung über. Ein symbolischer Akt, der die Landrechte der indigenen Bevölkerung Australiens betont und gleichzeitig einen Stimmungswandel illustriert.
"Terra Nullius" - Land, das niemandem gehört - war Australien noch für James Cook, ehe die Briten auf jenem "leeren Kontinent" 1788 eine Kolonie gründeten. Zwar trafen die Siedler dort durchaus Menschen, doch begriffen sie deren Lebensweise nicht und stuften sie als "nicht Land besitzend" ein. Nach geltendem Recht durften die Briten als "Entdecker" jene Terra Australis incognita somit besiedeln - ohne Krieg oder Vertrag.
Mehr als 300 Ureinwohner-Völker, die fast ebenso vielen Sprachgruppen angehörten und den Kontinent seit 60.000 Jahren bevölkert hatten, wurden in der Folge von ihrem Land vertrieben. 1788 lebten etwa 700 .000 Aborigines auf dem Kontinent und benachbarten Inseln. Allein die Hälfte der Stämme im Süden starb binnen kurzer Zeit, nachdem die Briten den Kontinent betreten hatten, an Pocken. Tausende gingen an anderen eingeschleppten Krankheiten zugrunde oder wurden ermordet, vor allem in der Region um das heutige Sydney, wo die Kolonie entstand. Um 1900 lebten nur noch etwa 93.000 Aborigines in Australien, viele in abgelegenen Regionen, die erst später kolonialisiert wurden, andere als Arbeiter auf Farmen. Heute identifizieren sich knapp 500.000 der gut 21 Millionen Australier als Aborigines oder Torres Strait Insulaner. Eine Minderheit, die gesundheitlich, sozial und finanziell benachteiligt ist. Aborigines sterben im Schnitt 17 Jahre früher als die Einwanderer: Zwei Drittel der indigenen Bevölkerung leidet an Diabetis und/oder Herzkreislauferkrankungen, stark verbreitet sind Augenkrankheiten, Alkoholismus und Asthma. Erschwert wird die Behandlung der Kranken dadurch, dass viele in extrem abgelegenen Gegenden fern von medizinischen Einrichtungen leben. Der Verlust ihres Landes ist für diese Entwicklung mit verantwortlich, weshalb für Aborigines die Rückgabe von Land und die Anerkennung traditioneller Anrechte auf dem Weg zur Gleichberechtigung extrem wichtig sind.
Für indigene Australier bedeutet "Land" weit mehr als Felsen, Erde oder "Besitz". Sie haben im Gegensatz zu Europäern eine ganzheitliche, spirituelle Verbindung zum Land. Mick Dodson, Aborigine aus den Kimberleys und Direktor des Instituts für Indigene Studien erklärt diese Beziehung so: "Um unsere Gesetze zu verstehen, unsere Kultur und Beziehung zur Welt, musst du mit dem Land beginnen. Alles in der Gesellschaft der Aborigines ist untrennbar verwoben und verbunden mit dem Land. Kultur ist Land. Nimm uns das weg, und du nimmst unsere Lebensgrundlage. Werden wir von unserem Land entfernt, sind wir im wörtlichen Sinne von uns selbst entfernt."
Erst spät, im Juni 1992, erklärte das Oberste Gericht Australiens die alte "Terra Nullius"-Doktrin für falsch und rassistisch. Der Entscheid ging als "Fall Mabo" in die Geschichte ein, da es der Torres Strait Insulaner Eddie Mabo war, dem der legendäre Sieg gelang. Gemeinsam mit vier Mitstreitern überzeugte er das Gericht, dass sein Volk die Insel Mer (Murray) seit jeher bewohnte, enge Bindungen zu ihr hatte und sie keineswegs "leer" war. Die höchste Instanz gab ihm nach zehn Verhandlungsjahren Recht: Murray gehörte den Mer-Leuten, nicht der Krone. Mabo erlebte das Urteil nicht mehr, der 56-Jährige war kurz zuvor an Krebs gestorben.
Sein Kampf jedoch zog Kreise: Der Grundsatzentscheidung folgend verabschiedete das Parlament 1993 das Native Title Gesetz, das seither modifiziert wurde, aber bis heute gilt: Indigenen Gruppen stehen traditionelle Ansprüche auf Gegenden und Gewässer zu, wenn sie nachweisen können, dass sie andauernde Verbindungen zu der Region haben, sie beispielsweise seit jeher zur Jagd oder für Zeremonien nutzen. Der Native Title kann jedoch nur für staatliches Land erteilt werden, das nicht inzwischen jemand anders erworben hat. Zugleich ist es kein Besitz, sondern eher ein Nutzrecht, für das in jedem Einzelfall spezifische Bedingungen ausgehandelt werden, beispielsweise Vereinbarungen über Fischerei, Zugangsbefugnisse zum Land oder Auflagen für Minenbetreiber oder Farmer. So wurde im Mai Westaustraliens "Lake Disappointment" zur Enttäuschung für eine Bergbaufirma, die dort Pottasche abbauen wollte. Die Martu Aborigines wehrten sich, da die Mine bedeutsame Stätten gestört hätte. Der Streit endete vor dem Obersten Gericht, das - erstmals in der Geschichte des Native Title - ein Bergbauprojekt stoppte. Konservative Medien hielten es für ein Eigentor: Die Martu hätten sich künftige Einkünfte vermasselt. Das Land Council ließ das kalt. Nicht immer, so ein Sprecher, gehe es nur um Geld: "Die Entscheidung unterstreicht die Stärke der Martu und ihrer Kultur."
Probleme des Native Title Systems, wie ihre Dauer oder die juristische Komplexität der Verfahren sind in Parteien und Parlament häufig Thema. Tom Calma, zuständig für Aborigines und Torres Strait Insulaner in Australiens Menschenrechtskommission findet, das System könnte flexibler werden und mehr dazu beitragen, auch wirtschaftliche Verbesserungen zu erzielen . "Für die am meisten durch die Verdrängung von Weißen Betroffenen, macht es das System oft am schwersten, Landbesitz nachzuweisen", sagt Calma. Zugleich müsse ein so kostpieliges Verfahren auch effektive positive Auswirkungen haben. Der Native Title war vor 15 Jahren als ein Rechtsanspruch in Verbindung mit Kompensationszahlungen zu einem Sozialpaket konzipiert. Zu den Zahlungen kam es jedoch nicht.
Um Land gekämpft hatten Ureinwohner schon zu Beginn der weißen Besiedlung. Je schneller die Kolonie wuchs, um so weiter vertrieb sie die Aborigines: Farmer brauchten mehr Land für Vieh und drängten die Aborigines, die von Jagd, Fischfang und Pflanzen lebten, in Gegenden zurück, die kaum genug Nahrung boten. Viele wurden in Missionen und Reservaten untergebracht, andere zur Arbeit auf großen Rinderfarmen verpflichtet. Von dort gingen in den 1960er Jahren die ersten Proteste für Gleichbehandlung, Land und Lohn aus. Die Aufstände und ein wachsendes Unrechtsbewusstsein veranlassten die Regierung 1967 zu einem historischen Schritt: Ureinwohner bekamen volle Bürgerrechte, Reservate und Missionen wurden an sie zurückgegeben. 1972 schlugen Aktivisten vor dem Parlament in Canberra eine "Zelt-Botschaft" auf, als Zeichen, dass sie sich im Land als Fremde fühlten und weiter um Land kämpfen würden. 1976 wurde das erste Landrechts-Gesetz verabschiedet. Fast die Hälfte des Nordterritoriums ist heute wieder in indigenem Besitz. Mitverwaltet werden diese Regionen von "Land Councils", die auch in anderen Bundesstaaten Rechte klären sollen und oft an Native Title-Anträgen beteiligt sind.
1.300 Anträge mit "historischen" Landansprüchen bearbeitete das staatliche "Native Titel Tribunal" seit 1994. Nur 121 davon wurden vor Gericht entschieden, das 85 Anträgen zustimmte. Das Prozedere hat den Staat bisher umgerechnet 552 Millionen Euro gekostet und ist oft peinigend lang: Fast sechs Jahre dauert ein Verfahren im Durchschnitt. Für Kritik sorgt außer der immensen Dauer auch der juristisch komplexe Rahmen: "Er frustriert die Aborigines und verleitet zum Missbrauch", so Rachel Siewert, Senatorin der Grünen, die gern die Beweislast erleichtert sähe. Gut 400 Native Title-Anliegen wurden immerhin außergerichtlich gelöst, Tendenz steigend. "Alle Anträge der letzten zwei Jahre haben wir ohne Gericht geklärt", sagt Graeme Neate, Sprecher des Native Title Tribunals: "Ein enormer Schritt nach vorn." Bis 2035, schätzt Neate, werden sämtliche Fälle entschieden sein. Arbeitslos wird das Tribunal damit kaum. "Ist der Landanspruch klar, folgen Vereinbarungen." Ist etwa eine Verbindung zu einem Nationalparkwald nachgewiesen, können die Ureinwohner beispielsweise als Parkaufseher am künftigen Profit beteiligt werden.
Nach seinem Amtsantritt 2008 hatte sich Premierminister Kevin Rudd offiziell für Unrecht, Leiden und Schmerz, die australische Regierungen durch ihre Gesetze den Aborigines zugefügt hatten entschuldigt. Rudds offizielles "Sorry" wertet Tom Calma ebenso als "markanten Wendepunkt" wie Australiens Annahme der UN-Deklaration für indigene Völker im April 2009. Die Herausforderung sei nun, symbolischen Akten Taten folgen zu lassen.
Angesichts sozialer Probleme ist die Landrechtsdiskussion in letzter Zeit in den Hintergrund getreten, jedoch nicht vergessen. "Landrecht ist eng verbunden mit allen übrigen Fragen", sagt Graeme Neate. "Es ist nicht nur psychologisch wichtig für eine so lange marginalisierte Bevölkerungsgruppe. Mit den Ansprüchen sind oft auch Erwerbsquellen verbunden. Alles hängt zusammen."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Australien.