GEDENKEN
In mehr als 500 deutschen Städten erinnern »Stolpersteine« an die Opfer des Nationalsozialismus
"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist." Dieses Credo hat den Künstler Gunter Demnig dazu bewogen, im Jahr 2000 die sogenannten Stolpersteine zu entwerfen, die er in seiner Heimatstadt Köln und im Berliner Stadtteil Kreuzberg in Gehwegen verlegte. Zu lesen sind auf den messingüberzogenen quadratischen Steinen die Namen sowie Geburts- und Todesdaten von Menschen, die von den Nationalsozialisten vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. Rund 17.000 Steine hat Demnig mittlerweile in mehr als 500 Städten in Deutschland vor den letzten selbst gewählten Wohnorten der Opfer verlegt. Auch in Österreich, Ungarn, Tschechien, Belgien, den Niederlanden und der Ukraine hat er bereits Steine ins Pflaster eingelassen. In Deutschland traf er allerdings mit seinen kleinen Mahnmalen nicht überall auf Zustimmung.
In anderen Ländern, die von Bürgerkriegen, diktatorischen Regimen oder Verfolgung gezeichnet sind, streiten die Überlebenden oft erbittert über eine allgemein akzeptierte Interpretation der Vergangenheit. In Deutschland ist dies anders. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass an die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten erinnert und ihrer Opfer gedacht werden muss. Umstritten ist allerdings auch hierzulande zuweilen die Frage, wer "richtig" beziehungsweise "am besten" gedenkt.
Eine, die die Stolpersteine vehement ablehnt, ist die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. "Unerträglich" findet sie den Gedanken, dass die in Fußgängerwege und auf öffentlichen Plätzen in den Boden eingelassenen Stolpersteine es ermöglichten, auf ihnen und somit auf den Namen der Opfern herumzutrampeln. "Dadurch wird die Würde der Opfer erneut verletzt." Manche Überlebende der Shoa haben sich dieser Meinung angeschlossen, in einigen wenigen deutschen Städten - allen voran in München - liegen als Konsequenz daraus keine der zehn mal zehn Zentimeter großen Betonsteine. In der bayerischen Hauptstadt entfernten Mitarbeiter der Stadt sogar bereits verlegte Steine. Der Stadtrat hatte auf Wunsch der Jüdischen Gemeinde München, deren Vorsitzende Charlotte Knobloch ist, die kleinen Gedenksteine generell verboten. Knoblochs Stellvertreter im Zentralrat der Juden, Salomon Korn, kritisiert diese Haltung genauso wie der Generalsekretär Stephan J. Kramer: "Geschichte wird durch die Stolpersteine für die Menschen erfahrbar und nachvollziehbar. Außerdem bauen die Steine Brücken zwischen Verwandten von Ermordeten und engagierten Bürgern", führt Stephan J. Kramer seine Position näher aus. Wenn Erinnern und Gedenken zunehmend ohne Zeitzeugen auskommen müssen, gewinnen die Stolpersteine seiner Meinung nach noch zusätzliche Bedeutung.
Wenig Verständnis hat auch der Künstler Gunter Demnig für die Widerstände gegen seine Arbeit: "Die Reaktionen, die ich von unzähligen Angehörigen der Opfer tagtäglich bekomme, sind überwältigend. Aus Israel, den USA und selbst aus Neuseeland sind Familien angereist, um dabei zu sein, wenn ich einen neuen Stein verlegt habe." Auch an öffentlichen Würdigungen für sein Engagement mangelt es nicht: 2005 verlieh Bundespräsident Horst Köhler ihm das Bundesverdienstkreuz. Im September 2009 zeichnete ihn die Jüdische Gemeinde Düsseldorf mit der Josef-Neuberger-Medaille für seinen Beitrag zur Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden aus. "Würde Frau Knobloch sagen, sie will für ihre Familie keinen Stolperstein haben, wäre das legitim", sagt Demnig. "Anderen vorzuschreiben, wie sie ihrer Verstorbenen zu gedenken haben, ist über alle Maßen undemokratisch." Von seiner Arbeit abbringen lassen will er sich aber nicht, im Gegenteil. Früher hat er jeden Stein selbst verlegt, mittlerweile bekommt er immer mehr Unterstützung - zuletzt von einer Berufsschulklasse aus Bielefeld. "So langsam merke ich die Belastung auch im Kreuz und in den Knien", schmunzelt Demnig. Erinnern und Gedenken sind nicht nur kontrovers, sondern vor allem schmerzhaft.