SKLAVEREI
Eine Aufarbeitung des Unrechts hat in den USA bis heute nicht stattgefunden
Es war ein historisches Ereignis: Am 18. Juni 2009, rund 150 Jahre nach Ende der Sklaverei, entschuldigte sich der US-Senat erstmals offiziell bei der schwarzen Bevölkerung für das damals geschehene Unrecht. "Wir sind stolz auf diese Resolution. Sie ist überfällig", sagte US-Senator Tom Karkin nach der Abstimmung. Die öffentliche Beachtung dieses legislativen Aktes hielt sich allerdings in Grenzen. Die "New York Times" berichtete darüber nur in ihrer Internet-Ausgabe. Die verantwortliche Redakteurin der angesehenen "Washington Post", Krissah Thompson, musste bei ihrem Chef darum kämpfen, einen Artikel über die Senats-Entschuldigung veröffentlichen zu dürfen. Sie überraschte das mangelnde Interesse allerdings nicht. "Die Sklaverei spielt in den USA nur dann eine wirkliche Rolle, wenn im Februar der Black History Month gefeiert wird. Ansonsten ist dieses Thema zwar im Hinterkopf der Nation, aber gesprochen wird darüber nur wenig."
Einer ganzen Bevölkerungsgruppe wurde Jahrhunderte lang massives Unrecht angetan. Die Nachfahren der Opfer und Täter leben im selben Land, und trotzdem mag sich Amerika damit nicht beschäftigen. Warum ist das so? Wird in Deutschland nicht auch ständig über die dunkle NS-Vergangenheit diskutiert? Ein Vergleich, den man so nicht ziehen kann, meint Manfred Berg, Experte für US-Geschichte an der Universität Heidelberg. Schließlich sei ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung erst nach Ende des Bürgerkriegs eingewandert, hatte also nichts mit der Versklavung der Schwarzen zu tun. "Die Sklaverei hat in den USA nicht den Stellenwert wie bei uns die NS-Zeit", sagt Berg. "Sie war nicht so ein traumatisches Ereignis für die USA wie für uns das Hitler-Regime. Das amerikanische Geschichtsbild ist von einer großen Kontinuität geprägt, die Sklaverei wird da als bedauerliche Abweichung gesehen." Auch meint Berg erkennen zu können, dass vor allem die politische Linke in den USA befürchte, dass ein von "Erinnerungsunternehmern" ständig genährtes "Übermaß" an Geschichte und Erinnerung lediglich Opfermythen und historische Feindschaften perpetuiere. "Sie glauben, dass damit die Basis für rassen- und klassenübergreifende Solidarität untergraben wird."
Zwar hat sich die Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren für die Gleichberechtigung der Schwarzen eingesetzt und eine Diskussion über Rassismus ausgelöst, die bis heute geführt wird. Doch eine Aufarbeitung der Sklaverei hätte in diesem Zusammenhang nie stattgefunden, kritisiert Krissah Thompson. Die amerikanische Öffentlichkeit hätte sich noch nie intensiv mit der Sklaverei beschäftigt. "Diese Zeit wird als die entfernte Vergangenheit angesehen. Es ist lediglich ein Thema für den Geschichtsunterricht."
Dabei scheint das Jahr 2009 prädestiniert für eine Debatte über die Ursachen der Sklaverei und die Rolle der amerikanischen Bevölkerung und ihrer Institutionen während dieser Periode. Die Gründung der schwarzen Bürgerrechtsvereinigung NAACP jährt sich zum 100. Mal. In diesem Jahr wird der 200. Geburtstag von Abraham Lincoln begangen, der als Befreier der Sklaven gilt. Und seit Januar sitzt im Weißen Haus mit Barack Obama der erste Schwarze, dessen Frau Michelle zudem von ehemaligen Sklaven abstammt.
Aber Obamas Triumph hat offenbar keine Aufarbeitung der Vergangenheit bewirkt, eher das Gegenteil: Nicht die dunkle Geschichte spiele eine Rolle in TV, Radio oder Zeitungen, sondern die Gegenwart, in der die Schwarzen scheinbar alle Barrieren überwunden haben, meint Thompson.
Um die Erinnerung an das Unrecht wach zu halten, schlägt der schwarze Journalist Eugene Kane vor, ein nationales Monument zu Ehren der Sklaven zu errichten, dazu ein Museum, das vor allem junge Leute über die Sklaverei aufklärt. "Das wäre eine Art von Wiedergutmachung, mit der ich leben könnte."
Der Autor ist freier Journalist und
Mitglied der Agentur Zeitenspiegel.