ISRAEL
Deutliche Mehrheiten wird es auch bei den Neuwahlen im Februar wieder nicht geben
Über die bevorstehenden israelischen Parlamentswahlen am 10. Februar lässt sich nur eines mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen: Auch die nächste Regierung wird sich auf eine wackelige Koalition vieler Parteien stützen müssen und deswegen Gefahr laufen, genau wie ihre sechs Vorgängerinnen vorzeitig zu stürzen. Diese Unbeständigkeit ist seit der Ermordung des Premierministers Yitzchak Rabin im November 1995 die einzige Kons- tante der israelischen Politik.
Im Jahr 2009 hat die fortschreitende Auflösung politischer Strukturen in Israel einen neuen Höhepunkt erreicht. Früher teilte Israel sich in Linke und Rechte. Diese großen politischen Blöcke konnten jeweils fast die Hälfte der 120 Sitze in der Knesset erringen. Heute sagen optimistische Meinungsumfragen der Arbeiterpartei, aus der sich die Staatsgründer rekrutierten und die die ersten Premierminister Israels stellte, knapp zwölf Sitze voraus. Parteiinterne Kämpfe haben sie von innen zerstört. Der rechte Likud soll mit 34 Sitzen stärkste Kraft im Parlament werden.
Dem ehemaligen Premierminister Ariel Scharon wird zugeschrieben, vor drei Jahren in Israel einen politischen Urknall ausgelöst zu haben, der dieses System anhaltend veränderte. Der frühere Ziehvater der Siedlerbewegung brach mit dem Likud, um gemeinsam mit Friedensnobelpreisträger Schimon Peres, dem Vorreiter der linken Friedensbewegung, Kadima, eine Partei der pragmatischen Mitte zu formen. Kadima, nun angeführt von Außenministerin Zipi Livni, sieht sich als Vertreterin der großen, pragmatischen Mitte.
Scharon hatte wohl weniger den Knall verursacht, als ihn erkannt. Die großen Blöcke schrumpften bereits seit Jahren zusammen. Zahlreiche Korruptions- und Sexskandale der politischen Führungskader trugen dazu bei, das Ansehen der Volksvertreter zu zerstören. Dies führte zu Politikerverdrossenheit, die sich in abnehmender Wahlbeteiligung niederschlägt und vor keiner Partei Halt macht.
Bei den Vorwahlen für die Parlamentswahlen im Februar lag die Beteiligung in der Arbeiterpartei mit 54 Prozent am höchsten, bei Kadima mit knapp 44 Prozent am niedrigsten. Für die Parlamentswahlen selbst wird erwartet, dass nicht mehr als 65 Prozent der Israelis den Gang zur Urne machen werden - die niedrigste Rate in der Geschichte des Staates. Zudem nimmt die Zahl der leeren Wahlzettel, die in die Urnen gesteckt werden, von Wahl zu Wahl zu. Andere Stimmen wanderten in den vergangenen Jahren zu den Nischenparteien ab. Dank der Zwei-Prozent-Hürde gelingt es meist mindestens einer dieser Parteien, Vertreter ins Parlament zu entsenden. Sie sind bereit, Teil jeder Regierung zu werden, falls ihre Forderungen erfüllt werden. Doch sie sind politische Eintagsfliegen: Bei den bevorstehenden Wahlen hätten diesmal die Grünen gute Aussichten auf einen Parlamentssitz, wären sie nicht innerlich so zersplittert. Auch "Schas", die Partei der Nachkommen von Juden, die einst aus arabischen Ländern einwanderten und heute zu den sozial benachteiligten Schichten gehören, hat gute Chancen, eine der mächtigsten Kräfte im Land zu werden.
Von den großen Parteien ist es einzig dem Likud unter Oppositionsführer Benjamin Netanjahu leidlich gelungen, seine Mitglieder zu halten. "Es ist ein soziologisches Phänomen: Wir sind weniger eine Partei als eine große Familie", erklärt Salman Schoval, ehemaliger Präsident des Welt-Likud. Neben der Parteitreue seiner Anhänger profitiert Netanjahu freilich von den Schlappen seiner Gegner: Zipi Livni, die einst viel versprechende Vorsitzende der Kadima, kämpft gegen das schlechte Image, das nach zahlreichen Skandalen ihrer engsten Umgebung der Partei anhaftet. Zum anderen kann Netanjahu sich auf die Islamisten verlassen. Die Hamas und der islamische Dschihad schüren in diesen Tagen das Feuer aus dem Gazastreifen. Iran prescht mit seinem Atomprogramm unaufhaltsam voran, während der Präsident der Islamischen Republik offen die Vernichtung Israels fordert. Drohender Krieg treibt die Israelis in die Arme des Likud - ein wichtiger Plusfaktor für Netanjahu.
Nur ein Trend bereitet dem einst unbeliebten ehemaligen Premier bei seinem Comeback Sorge: die Extremisten in seiner eigenen Partei. Seit Monaten war Netanjahu darum bemüht, sein Image als moderater Staatsmann aufzupolieren. Er erklärte sich zu Friedensverhandlungen mit Palästinensern und Syrien bereit, formulierte einen eigenen Friedensplan und tauschte nach Ausbruch der Weltfinanzkrise neokonservativen Kapitalismus gegen soziale Marktwirtschaft ein. In den Wochen vor den Vorwahlen lockte er viele Prominente in seine Partei und verlieh ihr einen gemäßigten Anstrich. Netanjahu kämpfte offen gegen die Extremisten im Likud und erklärte im Vorfeld, dass jeder, der mit Mosche Feiglin, ihrem prominentesten Vertreter paktiere, in Netanjahus Regierung keinen Platz finden werde. Der Kampf schlug fehl. Nach den Vorwahlen ist der Likud merklich nach rechts gerutscht. Nur wenige von Netanjahus Prominenten, die den Likud der Mitte hatten schmackhaft machen sollen, schafften es auf reale Listenplätze. Außenministerin Zipi Livni, die Erzrivalin Benjamin Netanjahus von der Mittepartei "Kadima", konnte sich nur mit Mühe ein schadenfrohes Lächeln verkneifen, als sie der Presse erklärte, die Ergebnisse der Vorwahlen im Likud seien nicht ihr, sondern Netanjahus Problem.