SÜDOSTEUROPA
Kombination aus Dialog und Truppenpräsenz
Eine neuerliche Erweiterungsrunde wird die Mitgliederzahl der Nato im Jahr 2009 auf 28 anwachsen lassen. Neu hinzu kommen Albanien und auch Kroatien, womit nach Slowenien, beigetreten im Jahr 2004, ein weiterer Teilstaat Ex-Jugoslawiens Mitglied der Allianz wird. Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien nehmen am Programm "Partnerschaft für den Frieden" (PfP) des Bündnisses teil und gehören dem Euroatlantischen Partnerschaftsrat (EAPC) an. Darüber hinaus hat die Nato Bosnien-Herzegowina und Montenegro zum "Intensivierten Dialog" eingeladen. Damit wird der westliche Balkan immer umfassender in die euro-atlantische Sicherheitsstruktur eingebunden, sieht man vom Kosovo ab; dort steht allerdings seit 1999 die Nato-geführte Kosovo Force (Kfor), während der Stabilisierungsbeitrag der Allianz in Bosnien-Herzegowina an die EU übergegangen ist.
Mitte Februar 2008 hat der Kosovo ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats seine Unabhängigkeit von der Republik Serbien erklärt. Die Euphorie über diesen Schritt ist indes selbst bei den 53 Staaten, die den Kosovo bislang anerkannt haben - unter ihnen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA - noch immer recht verhalten, hat er doch kaum Probleme gelöst, sondern vielmehr neue geschaffen. Moskau hat im Vorfeld stets auf die entscheidende, rechtschöpfende Rolle des UN-Sicherheitsrats verwiesen, in dem Russland über ein Vetorecht verfügt. Eine Unabhängigkeit ohne Zustimmung der Uno würde einen gefährlichen Präzedenzfall für sezessionistische Bestrebungen weltweit schaffen, zeterte Putins. Dabei ging es ihm nicht wirklich um "slawische Solidarität" oder gar die Reinerhaltung der völkerrechtlichen Lehre, sondern primär um potenzielle Signalwirkungen auf den instabilen Kaukasus. Die in der Anerkennungsfrage weiterhin gespaltene EU war zwar bemüht, die Vorgänge im Kosovo als "Einzelfall" zu deklarieren, doch konnte sie nicht verhindern, dass separatistische Bestrebungen in anderen Weltregionen daraus ihre Legitimation schöpfen. Gleichsam als Retourkutsche hat der Kreml dann wenige Monate später in Georgien mit einer Begründung interveniert, die jener des Vorgehens der Nato gegen Serbien im Jahr 1999 auffallend ähnelte, und die Souveränität Südossetiens und Abchasiens anerkannt
Was hat ein Jahr Unabhängigkeit dem Kosovo gebracht? Nicht gerade viel. Der junge Staat bleibt zunächst de facto ein Protektorat unter der UN Interim Administration Mission in Kosovo (Unmik). Ferner ist das Land in den albanischen Süden und den serbischen Norden geteilt. Darüber hinaus sind die sozioökonomischen Bedingungen weiterhin katastrophal. Und nicht zuletzt erweisen sich die allgegenwärtige Korruption und die mit Teilen der politischen Eliten verwobene organisierte Kriminalität als ein gewichtiger Hemmschuh auf dem Weg zu einer demokratisch-rechtsstaatlichen Entwicklung.
Mit rund siebenmonatiger Verspätung hat im Dezember die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU im Kosovo (Eulex) offiziell ihre Arbeit mit dem Ziel aufgenommen, den Aufbau einer multi-ethnischen Polizei, Justiz und Verwaltung zu unterstützen und sich der Sache der serbischen und der anderen Minderheiten (Bosniaken, Roma und Aschkali) anzunehmen. Die auf 2.000 Polizisten, Juristen und Verwaltungsfachleute ausgelegte Mission hatte keinen guten Start. Als Folge diplomatischen Tauziehens muss sie sich "statusneutral" verhalten und somit die Unabhängigkeit des Kosovo ignorieren, obwohl sie von der Mehrheit der EU-Mitglieder anerkannt wurde. Die Masse der Kosovaren ignoriert den Umstand, dass Eulex keine Regierungs-, sondern eine Beratungsfunktion hat, also nicht der inzwischen unbeliebten Unmik gleichzusetzen ist.
Einen der wenigen Aktivposten stellt die verbesserte Sicherheitslage im Lande dar. Garant dieses Erfolges war und ist die Kfor-Truppe. Darüber hinaus tragen die Unmik-Polizei (rund 2.000 Beamte und Beamtinnen, davon ca. 420 aus Deutschland) und der von ihr stufenweise aufgebaute Kosovo Police Service (KPS), der inzwischen eine Personalstärke von gut 7.000 aufweist, markant zur Stabilität bei. Im Juni 1999 erklärte die Nato die Luftoperation "Allied Force" zur Beendigung der von Slobodan Miloševic zu verantwortenden Gewalttaten im Kosovo für abgeschlossen. Zeitgleich meldete Kfor Operationsbereitschaft. Der 50.000 Mann starke Verband setzte sich aus Kräften der Mitgliedsstaaten sowie eines guten Dutzends von Nicht-Nato-Staaten zusammen.
Heute sind noch rund 16.000 Soldaten und Soldatinnen im Einsatz. Deutschland zählt mit knapp 2.600 Mann zu den großen Truppenstellern. Kfor hat den Auftrag, den von Unmik geleiteten Aufbau eines multi-ethnischen, friedlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Kosovo zu fördern und militärisch abzusichern. Dazu verfügt die Truppe über ein "robustes Mandat" und ebensolche Fähigkeiten zu Abschreckung, Selbstschutz und Durchsetzung ihres Auftrages. Das deutsche Kfor-Kontingent ist mit Masse im Süden sowie im Hauptquartier in Priština eingesetzt.
Die Pogrome des Frühjahrs 2004 an der serbischen Minderheit sowie die Unruhen von Nord-Kosovska-Mitrovica im März 2008 belegen nachhaltig das unverändert vorhandene Konfliktpotenzial und begründen die Notwendigkeit der Präsenz von Kfor. Eine Übergabe des militärischen Stabilisierungsauftrages der Nato an die EU erscheint noch nicht als opportun, da das Bündnis auf diesem Gebiet unverändert über die größere Kompetenz verfügt.
Einen großen Teil dieses Prestiges hat sich die Nato in ihren Einsätzen in Bosnien-Herzegowina ab 1995 erworben. In den Jahren zuvor hatten die Europäer in der Krisenbewältigung auf dem westlichen Balkan zu keiner gemeinsamen Politik gefunden und waren daher an dieser Aufgabe gescheitert. Erst auf Druck der US-Regierung unter Bill Clinton, der unter anderem bewirkte, dass im September 1995 amerikanische, britische und französische Kampfflugzeuge schwere Angriffe auf serbische Stellungen in Bosnien-Herzegowina flogen, kamen die Kampfhandlungen zum Stillstand, wodurch der Weg zu Verhandlungen frei wurde. In Paris unterzeichneten dann am 14. Dezember die Präsidenten Alija Izetbegovic (Bosnien-Herzegowina), Franjo Tudjman (Kroatien) und Slobodan Miloševic (Serbien) das Abkommen von Dayton. Einen Tag später mandatierte der UN-Sicherheitsrat die 65.000 Mann starke, Nato-geführte Implementation Force (Ifor) mit dem Auftrag, die Umsetzung des Vertrages zu überwachen und durchzusetzen.
Neben der Allianz beteiligen sich 17 Nicht-Nato-Staaten, vornehmlich PfP-Partner aus Mittel- und Osteuropa. Im Dezember 1996 wurde Ifor durch die gleichfalls Nato-geführte, nur noch 36.000 Mann starke Stabilization Force (Sfor) ersetzt. Als Sfor im Dezember 2004 durch die European Union Force (Eufor) abgelöst wurde, war ihre Personalstärke bereits auf 7.500 abgesenkt worden.
Die EU-Operation Althea mit ihren 2.500 Soldaten und Soldatinnen, davon 120 aus Deutschland, stellt die bislang größte militärische Operation der Union im Rahmen ihrer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) dar. Althea ist Teil des "integrierten politischen Ansatzes" der EU für Bosnien-Herzegowina, der dem Land die Perspektive einer Mitgliedschaft bieten soll, sobald die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Die Aufgabe, die Einhaltung des Dayton-Abkommens zu überwachen, wird auf der zivilen Seite vom "Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina und EU-Sonderbeauftragten" wahrgenommen, derzeit durch den slowakischen Diplomaten Miroslav Lajcák.
Der Übergang der militärischen Verantwortung auf die EU war nur möglich gewesen, weil sich die Sicherheitslage im Lande signifikant verbessert hatte und auch sonstige Reformbemühungen in Richtung auf ein friedliches und demokratisches Staatswesen einiges an Wirkung zu zeigen begannen. Die Reform des Polizeiapparats mit dem Ziel der Schaffung einer multi-ethnischen und professionellen Polizei für ganz Bosnien-Herzegowina hat die EU Mitte vorigen Jahres mit der Gegenzeichnung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) gewürdigt, einer wesentlichen Vorstufe zur Mitgliedschaft.
Unterentwickelt sind weiterhin die gesamtstaatlichen Institutionen des Landes - für den überwiegenden Teil der Politiker alles andere als eine Herzensangelegenheit. Schon die kroatisch-bosniakische Föderation ist keine Liebesheirat. Und in der Republika Srpska sind starke Kräfte wirksam, die sie lieber heute als morgen Serbien angegliedert sähen. Auch Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit kommen nur sehr mühsam voran, denn jede der drei Bevölkerungsgruppen hat eine eigene Version von Schuld und Verlauf des Bürgerkriegs entwickelt, die mit denen der jeweils anderen nicht vereinbar ist. Dadurch droht sich das Streitpotenzial über Generationen zu tradieren, was in der Region leider nicht unüblich ist.
Die Gefahr eines neuerlichen Konflikts ist somit nicht ausgeräumt, was die Präsenz der Nato auf dem westlichen Balkan zumindest mittelfristig unverzichtbar macht, sei es als Kfor im Kosovo oder als "Senior-Partner" der EU in Bosnien-Herzegowina, der ihre Mission in diesem Land gemäß der "Berlin-Plus-Vereinbarungen" unterstützt und zudem für Krisensituationen Reserven bereithält.
Der Autor ist freier Publizist.