TSCHECHIEN
Die Regierung tritt zurück - wie es weiter geht, bestimmt jetzt Staatspräsident Václav Klaus
Wie groß das internationale Echo auf das Ende ihrer Regierung ist, hat viele tschechische Politiker überrascht. Während in Brüssel die Befürchtungen wachsen, dass Prag nun seiner EU-Ratspräsidentschaft nicht mehr gewachsen sei und außerdem den Lissabon-Vertrag gefährde, stürzen sich die tschechischen Parteien bereits wieder in innenpolitische Zankereien. Der Einfluss des euroskeptischen Staatspräsidenten Václav Klaus ist infolge der Regierungskrise gewachsen - er allein kann gemäß der tschechischen Verfasung über die nächsten Schritte entscheiden.
Offiziell hat Ministerpräsident Mirek Topolánek (ODS) am 26. März seinen Rücktritt eingereicht. Bis zur Bildung einer neuen Regierung führt er die Amtsgeschäfte aber weiter - und damit auch den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Unklar ist momentan, wie sich Staatspräsident Klaus verhalten wird.
Die Verfassung setzt ihm keine Frist, den Auftrag für eine Regierungsbildung zu vergeben. "Wenn Topolánek mir die Unterschriften von 101 Abgeordneten bringt, werde ich ihm die Gelegenheit geben, eine Regierung zu bilden", sagte er. Doch egal, ob Topolánek bis zum Ende der EU-Ratspräsidentschaft im Amt bleibt oder Klaus jemand anderen mit der Regierungsbildung beauftragen würde, eines ist sicher: Jede neue Regierung würde an einer alten Schwäche leiden - den denkbar knappen Mehrheitsverhältnissen im Parlament. Weder die Drei-Parteien-Regierung noch die aus Sozialdemokraten und Kommunisten bestehende Opposition verfügt über die Mehrheit der insgesamt 200 Mandate.
Die politische Entscheidungsmacht lag damit in den Händen einiger Abgeordneter aus verschiedenen Parteien - bis zuletzt galt es deshalb als wahrscheinlich, dass Topolánek das Misstrauensvotum überstehen würde. Fast fünf Stunden dauerte im Abgeordnetenhaus die Debatte im Vorfeld der Misstrauensabstimmung. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten (CSSD), der frühere Premierminister Ji`?rí Paroubek, warf der Regierung Fehlverhalten vor. Mit scharfen Worten griff er überdies die geplanten innenpolitischen Reformen an.
Premierminister Topolánek verteidigte sich gegen die Vorwürfe und erinnerte an die Fälle, in denen sozialdemokratische Spitzenpolitiker im Verdacht unlauterer Geschäfte stehen. Bei der Konsolidierung des Haushalts habe seine Regierung "fantastische Ergebnisse" erzielt. "Ich kann mir bei den Reformen aber auch weitreichende Kompromisse vorstellen im Tausch für einen politischen Konsens", sagte er und forderte die Opposition auf, an "staatsmännischen Entscheidungen" teilzuhaben. "Eine Absprache mit der Opposition war bislang nie möglich, wir mussten immer auf einer scharfen Messerschneide balancieren", so Topolánek. Beobachter sehen tatsächlich im Miteinander der politischen Gegner eine der Hauptursachen für die seit Jahren schwierige Situation im Abgeordnetenhaus. Einen konstruktiven Umgang gibt es selten, stattdessen sind persönliche Beleidigungen und Verleumdungen an der Tagesordnung - auf Seiten beider Lager.
Daran ist letzten Endes auch die Regierung Topolánek gescheitert. Gegen ihn stimmte eine bunte Allianz von Abgeordneten, die von unterschiedlichen Motiven getrieben wurde: Der Opposition gehen die Reformbemühungen der Regierung zu weit, einem übergelaufenen ODS-Abgeordneten sind sie wiederum nicht weitgehend genug. Zwei frühere Grünen-Abgeordnete hatten ihre Zustimmung zur Regierung dem Vernehmen nach unter anderem davon abhängig gemacht, ob Topolánek ein LKW-Fahrverbot an Freitagen durchsetzen werde. Als der Premierminister darauf nicht eingehen wollte, stimmten sie gegen ihn.
Den Ausschlag gab dann ein weiterer ODS-Abgeordneter, der seine Ablehnung der Regierung mit der Abkehr seiner Partei vom Kurs des Parteigründers und Staatspräsidenten Václav Klaus begründete. Der gescheiterte Premierminister Mirek Topolánek gab in einer ersten Reaktion sowohl dem Oppositionschef Paroubek als auch dem Staatspräsidenten Václav Klaus die Verantwortung für das Ende der Regierung. Tatsächlich verstärken sich in Prag die Gerüchte, dass ausgerechnet Klaus im Hintergrund die Fäden gezogen haben könnte. Er gab im Dezember den Ehrenvorsitz der Regierungspartei ODS zurück und äußerte sich vor allem mit Blick auf die Europapolitik enttäuscht vom Kurs Topoláneks. Da Klaus in der Partei nach wie vor über starken Rückhalt verfügt, könnte das für einige Abgeordnete als Signal gewirkt haben.
Durch das Scheitern der Regierung hat Klaus so großen Einfluss gewonnen, wie er ihn in seiner repräsentativ ausgelegten Funktion als Präsident ansonsten nicht hätte. Bis zu den nächsten Wahlen wird jede weitere Regierung von seiner Billigung abhängen. Damit kann er indirekt auch Einfluss auf die EU-Ratspräsidentschaft nehmen, die das Land noch bis Ende Juni innehat. Vor allem wegen Klaus' ablehnender Haltung zum Lissabon-Vertrag führt das in Brüssel zu Befürchtungen. Das Reformwerk ist im Prager Abgeordnetenhaus zwar bereits verabschiedet worden, aber es steht noch die Entscheidung im Senat, der zweiten Parlamentskammer, bevor - und danach wird die Ratifizierung erst mit der Unterschrift des Präsidenten rechtsgültig.
An den Mehrheitsverhältnissen im Senat hat sich zwar nichts geändert, aber es wird erwartet, dass die Europaskeptiker durch die Regierungskrise Auftrieb erhalten haben. Die Sozialdemokraten, die das Misstrauensvotum initiiert hatten, sind nach Auffassung von tschechischen Kommentatoren selbst überrascht vom Erfolg ihres Ansinnens. Parteichef Jiri Paroubek ist jetzt in einer denkbar ungünstigen Situation. Zum einen liegt seine Partei nach aktuellen Meinungsumfragen in der Wählergunst jetzt deutlich hinter der ODS zurück. Zum anderen sind die Sozialdemokraten erklärte Befürworter des Lissabon-Vertrags - und haben mit ihrem politischen Vorstoß ausgerechnet dem euroskeptischen Staatspräsidenten Václav Klaus alle Trümpfe in die Hand gegeben.