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Im April wird in der drittgrößten Demokratie der Welt ein neues Parlament gewählt
In Indonesien hat die Endphase des Wahlkampfs begonnen. Am 9. April wählt das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt ein neues Parlament, und so beginnen jetzt die Parteiaufmärsche, die Straßenparaden und der laute Kampagnenkarneval. Rund 170 Millionen Menschen auf den mehr als 17.000 Inseln des südostasiatischen Staates sind für die Wahl registriert, und 38 politische Parteien versuchen nun, sich gegenseitig die noch unentschiedenen Wähler auszuspannen.
20 Tage dauert diese letzte Kampagnen-Hochphase, dann, vier Tage vor der Wahl, muss der Wahlkampf beendet sein. 11.000 Kandidaten werden um knapp 700 Parlamentssitze buhlen. Präsident Susilo Bambang Yudhoyono von der Demokratischen Partei (PD) hat in einer Rede an die Nation alle dazu aufgerufen, die Wahlgesetze nicht zu verletzen und die Paraden friedlich zu halten - durchaus eine ernst gemeinte Ermahnung, denn in der Vergangenheit war Indonesiens Wahlkampf häufig in eine wilde Schlacht zwischen teilweise gekauften Anhängern gegnerischer Parteien ausgeartet. Bezahlte "Parteigänger" waren die Wildesten, die für eine handvoll Rupiah jeden Tag ein anderes T-Shirt anzogen und Parolen und Fäuste schwingend durch die Straßen zogen. Deshalb mobilisierte die Regierung diesmal 1,4 Millionen Soldaten und andere Sicherheitskräfte, damit der Wahlkampf nicht aus dem Ruder läuft und die Wahlkabinen bewacht werden können. "Lasst uns diesen Bestandteil der Demokratie mit Würde und Ruhe angehen", so SBY, wie der Präsident liebevoll genannt wird, "wo auch immer Ihr seid, lasst uns die Wahlen von 2009 zu einem Erfolg machen."
Nun also geht es wieder los mit Indonesiens demokratischem Ritual des organisierten Chaos: Ohrenbetäubende Paraden, hupende Motorradkonvois, bei denen Parteibanner geschwungen werden, lautstarke Reden über die Vorzüge des einen oder anderen Kandidaten. 20 Tage ausgelassene Partystimmung, während der Alltag vor allem in der Hauptstadt massiv gestört wird.
In diesem Jahr ist auch das formale Durcheinander größer als je zuvor, denn im Juli wählt das Land auch einen neuen Präsidenten. Die Präsidentschaftswahl ist weit wichtiger für das Land, denn die Regierung hängt nicht vom Vertrauen des Parlaments ab. Seit 2004 wird der Präsident direkt vom Volk gewählt. Er benötigt allerdings eine belastbare Mehrheit im Parlament, sonst können seine Aktionen ausgebremst und blockiert werden. Präsident Yudhoyono braucht einen "Running Mate", einen Stellvertreter, aus einer mächtigen Partei an seiner Seite: Yussuf Kalla von der größten indonesischen Partei Golkar, der Partei des ehemaligen Diktators Suharto, der die Machtverhältnisse im Parlament auszugleichen hilft.
Bei diesen Wahlen folgt Indonesien erstmals einem neuen Wahlgesetz: Im Gegensatz zur letzten Wahl vor fünf Jahren, als die Parteien noch fast ohne Einschränkungen einen Kandidaten aufstellen konnten, müssen sie diesmal erst einmal eine stolze Zahl von Wählerstimmen zusammenbringen, um jemanden zu nominieren. Alles was zählt, sind zwanzig Prozent der 560 Sitze im Unterhaus oder ein Viertel der gesamten nationalen Wählerstimmen, damit eine Partei einen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken darf. Die Parteien setzen deshalb auf Berühmtheiten, auf Seifenopernstars, Sänger und Schriftsteller, auf hübsche oder beliebte Gesichter teilweise ohne jede politische Erfahrung.
Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren waren es noch drei Prozent der Parlamentssitze oder fünf Prozent der landesweiten Stimmen. Hätte es damals bereits die gleichen Regeln wie heute gegeben, hätte nur eine einzige Partei, Golkar, die nötige Stimmenzahl erreicht. Und es gibt noch eine weitere neue Regel: Diesmal müssen dreißig Prozent der Parlamentskandidaten Frauen sein - auch ein Grund für die wachsende Zahl von Stars auf den Parteilisten.
Die Schauspielerin Rachel Maryam Sayidina ist eine dieser neuen "Politikerinnen", die für ihre Partei Wahlerstimmen fangen soll. Die letzte "Wahl" die sie gewonnen hat, war die zur besten Nebendarstellerin beim asiatischen Filmfestival in Deauville vor sechs Jahren. Jetzt kandidiert die 28-Jährige für das Parlament. Sie tritt für die "Great Indonesian Movement" Partei (Gerindra) an. Ihre Attraktivität und die Fähigkeit, Wähler anzulocken, sind wichtig für den Präsidentschaftskandidaten der Partei Prabowo Subianto, umstrittener Ex-Oberbefehlshaber der indonesischen Elitetruppen und Schwiegersohn des früheren Diktators Suharto, der Indonesien drei Jahrzehnte lang mit eiserner Hand regiert hatte, bevor er 1998 gestürzt wurde.
Indonesiens Demokratische Partei des Kampfes (PDI-P) von Ex-Staatspräsidentin Megawati Sukarnoputri, die wichtigste Oppositionspartei, hat fünf Schauspielerinnen und Fernsehstars nominiert. Yudhoyonos Demokratische Partei hat sechs auf ihrer Liste. Die moslemische Partei des Nationalen Mandats (PAN) schickte gar 18 Berühmtheiten aus dem nichtpolitischen Raum ins Rennen.
Die Präsidialrepublik Indonesien ist zwar die drittgrößte Demokratie der Welt, doch die demokratischen Prinzipien stecken hier nach mehr als zehn Jahren immer noch, so meinen Analysten, in den Kinderschuhen. Die Konzentration auf berühmte Gesichter anstatt auf politische Ideen ist für Experten ein Zeichen der politischen Unreife des Landes. "Ich mache mir Sorgen", klagt zum Beispiel Eep Saefulloh Fatah von der Universität Indonesiens, "dass diese Berühmtheiten, die zwar populär sind, aber denen es an Kompetenz fehlt, nicht in der Lage sein werden, ihre Arbeit zu tun." Die Zeitung "Jakarta Globe" kommentiert: "Fast keine der Parteien, die bei den Legislativwahlen dabei sind, haben eine überzeugende Vision parat, die die Nation voranbringen könnte, geschweige denn ein Programm, aus dem man ihre Prioritäten erkennen könnte."
Dabei muss sich das neue Parlament auf massive Probleme und Herausforderungen gefasst machen: Yudhoyono ist es trotz aller Erfolge auf wirtschafltichem Sektor nicht gelungen, Armut und Arbeitslosigkeit ernsthaft zu bekämpfen. Und die weltweite Finanzkrise macht auch vor Indonesien nicht halt: Das künftige Wirtschaftswachstum des Landes, so prognostiziert die Zentralbank, wird mit vier Prozent das niedrigste seit acht Jahren sein. Die Exporte schrumpfen ebenso wie der Wert der indonesischen Währung. Auch die galoppierende Korruption und lähmende Bürokratie müssen noch tatkräftiger angegangen werden.
Daneben hat Indonesien mit einer eigenen gefährlichen Terrororganisation zu kämpfen, der Jemmah Islamiyah (JI). Die verbotene südostasiatische Gruppe steckt hinter mehreren blutigen Anschlägen, vor allem gegen westliche Ausländer, so zum Beispiel den Bali-Bomben von 2002, bei denen 202 Menschen getötet wurden. Die indonesischen Behörden waren in den letzten Jahren äußerst erfolgreich damit, den militanten Arm der JI zu schwächen. Die meisten Anführer sitzen im Gefängnis oder wurden hingerichtet. Allerdings befürchten Terrorexperten, dass die Ideologie der Organisation in Moscheen, Gefängnissen und Schulen weiter verbreitet wird.
Sicherheitsfragen und Fragen der Terrorismusbekämpfung rücken auch außenpolitisch für Indonesien zunehmend in den Vordergrund. Jakarta sieht sich als Motor der "Association of South East Asian Nations" (ASEAN), deren Gründungsmitglied es ist. Den Indonesiern liegt dabei vor allem daran, regionale Integration zu fördern. Außerdem bemüht sich Indonesien um eine stärkere globale Profilierung des Landes.
Und hier liegt eine weitere Herausforderung für Indonesiens neue Regierung: Das Inselreich muss sich auf eine veränderte Beziehung zu den USA unter Barack Obama einstellen. Der neue US-Präsident, der als Kind vier Jahre lang in Jakarta gelebt hat, sucht einen neuen Ansatz mit muslimischen Staaten. Er hat bereits seine neue Außenministerin Hillary Clinton nach Indonesien geschickt - als einzigem südostasiatischem Land auf ihrer ersten Auslandsreise. Washington will den Grundstein legen für eine strategische Partnerschaft mit Jakarta. Indonesiens Übergang zur Demokratie soll der muslimischen Welt als Beispiel dienen. "Islam, Demokratie und Moderne können nicht nur koexistieren", so lobte Clinton bei ihrem Besuch, "sondern gemeinsam florieren." Das Lob geht aber einher mit der Forderung nach mehr Verantwortung. Clinton betonte, Indonesien könne künftig als Brücke zur muslimischen Welt dienen.
Tatsächlich glauben viele Indonesier, dass ihre Erfahrungen mit wirtschaftlicher Entwicklung und Armutsbekämpfung, politischen Reformen und islamischem Terrorismus sie zu Experten der Herausforderungen machen, denen die Moslems weltweit gegenüberstehen. Allerdings hat Indonesien bisher nie eine größere Rolle in der islamischen Welt gespielt. Viele Araber betrachten die Indonesier als Moslems zweiter Klasse. Indonesien müsste seinen Anspruch auf Führung erst noch profilieren.
All diese Aufgaben werden dann in den Händen der neuen gewählten Volksvertreter liegen. Auch der Popstar Tere wurde für die diesjährige Wahl rekrutiert. Sie tritt für Yudhoyonos Demokraten an. Immerhin, sie hat politische Ambitionen: "Ich versuche nicht, es anderen Berühmtheiten nachzumachen. Ich bin tatsächlich schon seit einer Weile an Politik interessiert", erklärte sie in einem Interview. Doch sie muss zugeben: "Wenn ich gewählt werde, muss ich ernsthafte Hausaufgaben machen." Die Schauspielerin Rachel Maryam Sayidina erzählt hingegen ganz offen: "Die Leute fragen mich in der Regel nicht nach meiner Vision. Sie wollen nur ein Foto mit mir!"