UNGARN
Offiziell geht Ministerpräsident Gyurcsány. Im Hintergrund zieht er weiter die Fäden
Die Vorentscheidung fällt voraussichtlich am 6. April: Auf einem Sonderparteitag wird die in Ungarn regierende sozialistische MSZP die Vorentscheidung über einen neuen Ministerpräsidenten treffen. Die Delegierten können zwischen drei Kandidaten wählen: dem früheren Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Ferenc Glatz, dem ehemaligen Notenbankgouverneur György Surányi und dem Wirtschaftsweisen András Vértes. Der noch amtierende Regierungschef Ferenc Gyurcsány gab die Namen am Dienstagabend bekannt. Drei Tage zuvor hatte er auf einem MSZP-Kongress für eine politische Sensation gesorgt: Er habe gehört, er sei ein Hindernis bei der Durchsetzung weiterer Reformen. Da er dieses Hindernis beseitigen wolle, empfehle er seinen Genossen, innerhalb von zwei Wochen einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu benennen. Am 14. April soll der neue Mann der MSZP auf dem Wege eines konstruktiven Misstrauensvotums vom Parlament zu Gyurcsánys Nachfolger gewählt werden.
Gyurcsány, Ministerpräsident seit 2004, begründete seinen Schritt mit seiner mangelnden Popularität und der globalen Finanzkrise, von der Ungarn besonders schwer getroffen ist. Nicht zuletzt gehe es darum, die MSZP für das reguläre Wahljahr 2010 fit zu machen. Damit lieferte er zugleich eine plausible Erklärung dafür, warum vorgezogene Parlamentswahlen, wie sie die führende Oppositionspartei Fidesz fordert, für ihn nicht in Frage kommen. Ferenc Gyurcsány ist nach seinem sozialistischen Vorgänger Péter Medgyessy der zweite ungarische Regierungschef, der seinen Rücktritt erklärt. Beobachter in Budapest deuten seine Ankündigungen aber nur als "Abschied auf Raten", weil Gyurcsány bei Erhalt und Ausbau seiner Macht stets eine solche Zähigkeit bewiesen habe, dass er jetzt nicht einfach abtreten werde.
Vieles deutet darauf hin, dass Ferenc Gyurcsány der einflussreichste Politiker im Lande bleibt. Von den Delegierten seiner Partei, vor denen er morgens noch seinen Rücktritt verkündet hatte, ließ er sich nachmittags als MSZP-Parteivorsitzender bestätigen. Damit liegt es wohl wesentlich an Gyurcsány, wen die Partei als seinen Nachfolger im Amt des Premier vorschlägt. Sollte sich dieser Kandidat am 14. April tatsächlich im Parlament durchsetzen, tut er in seinem eigenen Interesse sicher gut daran, bei wesentlichen Entscheidungen den MSZP-Vorsitzenden Gyurcsány zu konsultieren. Im Vorfeld des MSZP-Kongresses am 6. April werden György Surányi die größten Chancen eingeräumt. Gemeinsam ist allen Kandidaten, dass sie als "Technokraten" gelten. Damit soll ein vertrauensstiftendes Signal über Parteigrenzen hinweg gesetzt werden. Gesellschaftlicher Konsens besteht allerdings darin: Nur einem ausgewiesenen Fachmann könne es jetzt noch gelingen, Ungarn wieder auf Kurs zu bringen.