AUSSENPOLITIK
Merkel fordert neue Nato-Strategie. Linksfraktion sorgt für Eklat bei Debatte
Es geht um mehr als ein übliches Jubiläum angesichts runder Jahreszahlen. Das 60-jährige Bestehen der westlichen Allianz, das am 3. und 4. April im französischen Straßburg und im deutschen Baden-Baden begangen wird, ist zugleich ein "starkes Zeichen deutsch-französischer Freundschaft", sagte der Grünen-Abgeordnete Jürgen Trittin. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hält es für eine "wahrhaft bewundernswerte Geste", dass Frankreich im Rahmen der bilateralen militärischen Zusammenarbeit deutsche Soldaten über den Rhein kommen lässt. Kaum ein Ort symbolisiere Friedenspolitik so sehr wie der Brückenschlag über den Rhein. Daher wird es während des Gipfels auch zu einem symbolischen Nato-Treffen auf der Rheinbrücke zwischen Straßburg und Kehl kommen. "Dort wo sich Deutsche und Franzosen über Jahrhunderte hinweg als erbitterte Gegner gegenüberstanden - gerade dort sind wir heute in enger Freundschaft verbunden und dem Frieden auf unserem Kontinent verpflichtet", so Merkel. Die Kanzlerin zeigte sich mit dem Zustand der Nato, in deren militärische Integration Frankreich nach 43 Jahren wieder einschert, in einer Regierungserklärung am 26. März im Bundestag hoch zufrieden, zeigte jedoch zugleich Grenzen auf: "Ich sehe keine globale Nato", sagte sie.
Etwas größer wird das Bündnis aber doch. Während des Gipfels werden Albanien und Kroatien neu in die Nato aufgenommen. Das Bündniss bleibe vornehmlich auf die kollektive Sicherheit der nordatlantischen Partner konzentriert, versicherte die Kanzlerin, die zugleich erklärte, die Tür für einen Beitritt von Georgien und der Ukraine bleibe offen. Der Dialog mit Russland, der auf dem Gipfel auch wieder intensiviert werden soll, ist für die Kanzlerin eine Selbstverständlichkeit: "Die Zeit des Kalten Krieges ist unwiederbringlich vorbei."
Der Bundesregierung geht es in Straßburg und Baden-Baden aber auch um ein neues strategisches Konzept, das jetzt in Angriff genommen und beim nächsten Gipfel fertig sein soll. Wesenskern soll laut Kanzlerin die gegenseitige Unterstützung bleiben: "Ein Angriff auf ein Mitglied ist ein Angriff auf das Bündnis insgesamt." Zur operativen Realität, an der sich das Konzept ausrichten müsse, gehörten aber auch Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes. Am Beispiel Afghanistan werde deutlich, dass nur ein Konzept der "vernetzten Sicherheit" zum Erfolg führen könne. Es müsse strategisches Allgemeingut der Nato werden, dass militärische mit anderen Instrumenten verbunden würden, etwa der Entwicklungshilfe und des zivilen Wiederaufbaus.
Den Einsatz in Afghanistan bezeichnete Merkel als "wichtigste jetzige Bewährungsprobe für die Nato". Er erfordere mehr Geduld, als man sich das vorgestellt habe. Ziel bleibe es aber, alles daran zu setzen, dass von Afghanistan keine terroristische Bedrohung mehr ausgehen könne. Auf die amerikanischen Pläne, die Zahl der Soldaten in Afghanistan massiv zu erhöhen, um der Taliban endlich Herr zu werden, ging Merkel nicht ein.
Was die terroristische Bedrohung mit Ursprung in Afghanistan angeht, zeigte sich FDP-Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle mit der Kanzlerin einig: "Kabul darf nie wieder die Hauptstadt des Terrorismus in der Welt werden. Und in dem Augenblick, in dem wir Afghanistan aufgeben würden, wäre Kabul wieder Hauptstadt des Terrorismus in der Welt." Deshalb liege das deutsche Engagement auch im eigenen Interesse, sagte Westerwelle, der wie Merkel die vernetzte Sicherheit und die Notwendigkeit des zivilen Aufbaus betonte. Eine weltweite Universalzuständigkeit für die Nato lehnte Westerwelle ab. Die primäre Verantwortung für den Weltfrieden bleibe bei den Vereinten Nationen.
Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte, Nato und Vereinte Nationen in Kabul enger zu verzahnen. Der Nato-Einsatz in Afghanistan sei wichtig, aber man sei nicht wegen der Nato und ihrer Erfolge in dem Land, sondern "wir bleiben wegen der Menschen in Afghanistan, die auf eine gute Zukunft setzen". Walter Kolbow (SPD) bezeichnete das Bündnis als Präventions- und Wertegemeinschaft, die auch einen zivilen Arm brauche. Trittin (Grüne) glaubte nicht, dass die Zukunft der Nato vom Engagement in Afghanistan abhänge. Dennoch dürfe Afghanistan nicht scheitern. Dazu gehöre, dass über vernetzte Sicherheit nicht nur geredet, sondern dieses Prinzip auch realisiert werde. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer zeigte sich überzeugt, dass die Menschen in den neuen Ländern ohne die westliche Allianz nicht in Freiheit leben würden. "Das gehört zu den Erfolgen der 60 Jahre", so der CSU-Politiker.
Der Chef der Linksfraktion, Oskar Lafontaine, sagte, die Nato sei nicht mehr der Verteidigung verpflichtet, sondern ein "Interventionsbündnis, das völkerrechtswidrige Kriege führt und Kriege um die Öl- und Gasfelder des vorderen Orients". Mitglieder der Linksfraktion versuchten die Debatte für eine Demonstration zu nutzen. Während einer Zwischenfrage der Abgeordneten Heike Hänsel (Linksfraktion) entfalteten Abgeordnete Transparente mit der Aufschrift "No Nato - No War" und Fahnen mit Friedenssymbolen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ordnete eine Entfernung der Transparente an: "Räumen Sie jetzt erst einmal diese ganzen Klamotten weg." Weiter sagte er: "Diese Mätzchen haben mit Parlamentarismus überhaupt nichts zu tun." Die Abgeordnete Hänsel erhielt einen Ordnungsruf, "weil Sie bereits zum wiederholten Male gegen die abgestimmten Mindestnormen eines vernünftigen parlamentarischen Umgangs verstoßen", wie Lammert sagte. Der Geschäftsordnungsausschuss will sich nun mit der Frage befassen, in welcher Form eine "gröbliche Verletzung der Ordnung" künftig zeitnah geahndet werden kann.
Abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag der Linksfraktion, in dem unter anderem ein Abzug der Nato aus Afghanistan gefordert wurde. Union, SPD und FDP stimmten auch gegen einen Antrag ( 16/11247, 16/11971) der Linksfraktion, in dem die Nato-Erweiterung abgelehnt wurde. Die Grünen enthielten sich. Zwei Anträge der Grünen ( 16/12113, 16/12322) für eine neue Strategie der Nato in Afghanistan wurden ebenso abgelehnt wie ein Antrag der FDP ( 16/12433) zur Rolle Deutschlands im Bündnis.